Eine wunderschöne erotische Kurzgeschichte aus dem Sammelband FUCK[dis]ABILITY bereitgestellt von Franziska Appel und Benjamin Schmidt.
Vorwort:
Liebe Leser*innen,
dieser Gastbeitrag ist ein wenig anders, als ihr es vielleicht gewohnt seid. Anders in dem Sinne, dass er eigentlich aus einer Kurzgeschichtensammlung stammt. Trotzdem beruht dieser Beitrag auf einem wahren Ereignis. Das Thema dieser Geschichte dreht sich um die sexuelle Erfahrung mit einer sehbehinderten Partnerin. Ich freue mich natürlich sehr, dass wir auch mal so ein Thema hier haben dürfen und bedanke mich an dieser Stelle auch ganz herzlich bei Franziska Appel und Benjamin Schmidt dafür, dass sie mir die Geschichte aus FUCK[dis]ABILITY bereitgestellt haben.
Falls euch diese Sammlung interessiert verlinke ich euch das Buch und das E-book unter der Geschichte. Mehr kommt von meiner Seite erstmal nicht mehr, ich wünsche euch ganz viel Vergnügen beim Lesen, ich hatte dabei jedenfalls sehr viel Spaß.
Gefühlte Bilder.
Ja, ich male. Und das offensichtlich doch so gut, dass ich hin und wieder einen Auftrag bekomme oder meine Bilder für einen gewissen Zeitraum irgendwo ausgestellt werden sollen. Und dann gibt es noch Bekannte oder Leute von meiner Arbeit, die mir ihre leeren Wandflächen in Wohnung oder Büro gerne als Stauraum oder Zwischenlager für meine Bilder anbieten, wenn es an meinen eigenen Wänden langsam zu eng wird. Und so kann es durchaus mal sein, dass ich eine der bemalten Leinwände in ein Handtuch oder ein Bettlagen hülle und in einer großen Plastiktüte verpackt zum neuen Bestimmungsort transportiere. Da sowieso gerade Winterferien waren, bot sich diesmal sogar die nahezu leere Straßenbahn als Transportmöglichkeit an. Einzig beim Aus- und Umsteigen war das Bild leicht unhandlich. Das führte dann auch dazu, dass ich beim Einsteigen in die nächste Bahn eine Dame leicht touchierte. Erschrocken drehte ich mich um und murmelte schnell irgendeine Entschuldigungsformel… Sie lächelte nur freundlich und winkte ab, blickte dabei aber irgendwie an mir vorbei. Erst dann entdeckte ich diesen gelben Button mit den drei schwarzen Punkten. Bevor ich weiter nachdenken konnte, fragte sie unvermittelt: »Was tragen Sie denn da mit sich herum? Irgendwie sperrig, aber doch so leicht?«
Naja, ich fand schon irgendwie, dass sie ein Recht hatte, zu erfahren, was sie denn da angerempelt hatte: »Ein Bild. Das soll bei uns im IT-Büro hängen.«
»Selbst gemalt?« Und da war wieder dieser Moment, wo ich mir jedes Mal ein bisschen so vorkam wie ein kleines Kind, das mit seinen Kritzeleien stolz zu Mama und Papa geht, um sich dann ein ›fein gemacht‹ abzuholen. Allerdings, sie konnte ja offensichtlich nichts oder zumindest nur sehr schlecht sehen. Auch wenn sie mich, nun, da ich etwas gesagt hatte, fast direkt anblickte. Und ja, ich meinte tatsächlich Interesse in ihrem Blick zu erkennen. Nun konnte auch ich mir ein Lächeln nicht verkneifen: Irgendwie schon ein bisschen skurril. Normalerweise gibt es doch nur genervte Blicke, wenn sich Personen im öffentlichen Nahverkehr ungewollt zu nahe kommen. Eigentlich auch wieder ein schönes Wortspiel: Die Straßenbahnen waren, zumindest um diese Zeit sowieso meist so voll, dass man sich unweigerlich nahe kommen musste. Aber eben nur körperlich; und das eher ungewollt. Und nun stoße ich hier eine Person mit meiner bemalten Leinwand an und sie möchte wissen, was es ist. Lag es vielleicht wirklich an ihrer Blindheit? Andere hätten sich diese Frage wohl schnell mit einem genervten Blick erklären können…
»Ja,
ich male ab und zu.« Sie lachte. »Ich dachte, die hängt man dann
an die Wand und fährt damit nicht umher… Kann ich es mal sehen?«
Ähmmm…
Wie jetzt? Wurde ich gerade von einer blinden Frau gefragt, ob sie
mein Bild sehen kann? Nee, ich war wach und ich befand mich in der
Straßenbahn auf dem Weg zu meiner Arbeit. Das stimmte zumindest
alles. Aber diese Frage? Ich meine, ich weiß doch gar nicht, ob und
was sie sehen kann. Wie soll ich denn wissen, ob sie dann mein Bild
sehen kann? Irgendwie merkte ich, wie mich diese Frage ein bisschen
an meine Grenzen brachte, was wohl auch ein wenig der frühen Stunde
geschuldet war. Aber letztlich kann sie sich diese Frage doch nur
selber beantworten. Würde sie das Bild sehen können? Wie würde sie
es sich ansehen? Wäre sie enttäuscht, wenn sie nichts erkennt?
Schon machte meine Verwunderung meiner grenzenlosen Neugier Platz.
»Klar.«,
meinte ich und begann das Bild aus der übergroßen Baumarkt-Tüte
und dem schwarzen Badetuch zu befreien. Okay, und wie weiter? Keine
Ahnung. Wie schauen sich denn Blinde normalerweise Bilder an? Bisher
wäre ich nie nur im Entferntesten auf die Idee gekommen, dass
Menschen, die nichts sehen, irgendein Interesse an Bildern oder Kunst
haben. Also Augen zu und durch oder so ähnlich.
Ich
hielt ihr das Bild einfach vor die Nase. Ziemlich dicht, da ich wohl
der Annahme war, dass sie es so einfacher erkennen könnte und da so
eine Straßenbahn eben auch nicht ganz so viel Ausstellungsfläche
bietet.
»Na
mal sehen, was ich erkennen kann.«, meinte sie nur und begann mit
ihrem Gesicht in unterschiedlichen Winkeln vor dem Bild hin und her
und auf und ab zu fahren.
»Mir
gefallen diese Farben. Diese Gelbtöne mit ein bisschen Rot im
Hintergrund und das Motiv, ist das Blau?«
»Ja,
das ist ein ziemlich dunkles Blau. Wirkt beinahe Schwarz.«
»Was
stellt es dar?«
»Ähmmm…
Es ist ein schwarzblaues Pferd. Es wirkt wild und ungezügelt und
scheint diesen Zustand sichtlich zu genießen und stürmt förmlich
auf den Betrachter zu.«
»Sehr
schön. Ein wirklich schönes Motiv. Darf ich es mal berühren?«
Ein Bild, das ich so provisorisch verpackt in der Straßenbahn transportiere, ist nun auch wirklich nicht besonders wertvoll und außerdem ist Acrylfarbe recht robust.
»Mach
nur.«, meinte ich und schaute ihr gebannt dabei zu, wie sie sich
mein Bild Stück für Stück zu erarbeiten schien. Sie hatte
wunderschöne feingliedrige Hände und ihre Fingerspitzen fuhren
sanft den Strukturen nach, die mein Pinsel auf der Leinwand
hinterlassen hatte. Hatte jemals jemand eines meiner Bilder so genau
betrachtet? Mist! Vorletzte Haltestelle, bevor ich raus musste.
»Ich
muss gleich raus. Kannst du das Bild bitte mal kurz halten, damit ich
es wieder einpacken kann?« Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte
ich es ihr einfach in ihre schönen Hände und begann das Badetuch
und die Tüte zu sortieren. »In etwa einem Monat veranstalte ich
eine kleine Ausstellung. Hättest du Lust zur Vernissage zu kommen?«
»Ja,
total gerne.« Sie kramte in ihrem Rucksack. Dabei fiel mein Blick
auf ihren Blindenstock, den sie zusammengeklappt im Rucksack verstaut
hatte. Sie konnte also offensichtlich wirklich so gut wie nichts
sehen. Hatte ich gerade tatsächlich eine fast Blinde zu einer
Gemäldeausstellung eingeladen? Verrückt! Sie machte den Rucksack
wieder zu und drückte mir eine Visitenkarte in die Hand. »Schreib
mir doch einfach eine Mail mit den Details.«
Noch
vor ein paar Minuten hätte ich mich wohl verwundert gefragt, ob sie
Emails überhaupt lesen könnte. Aber wenn sie sich durch ihre
Behinderung schon nicht davon abhalten lässt, sich Bilder anzusehen,
wird sie wohl auch für Mails ihre Möglichkeiten haben. Die Bahn
hielt. Ich steckte mir die Karte ein, nahm das fertig verpackte Bild
und ging zum Ausgang. Erst jetzt bemerkte ich die Blicke der Leute in
der Bahn. So überrascht, sprachlos, neugierig und erstaunt, wie sie
mich anblickten, hatten sie uns wohl die ganze Zeit genau beobachtet.
Aber was soll’s, ich hatte gerade das schönste Kompliment für ein
Bild bekommen, das es wohl geben kann. »Mach’s gut,«, rief ich im
Hinausgehen, »ich melde mich!«
Ich
musste die ganze Zeit daran denken, wie sie ihre Finger sanft über
das Bild streichen ließ. Als würde sie die Farben streicheln. Als
würde sie mit ihren Fingern jeden Millimeter betrachten. Was für
Hände! Welche Zärtlichkeit in ihren Bewegungen steckte. Es machte
mich ganz verrückt.
Später,
nachdem ich das Bild an die freie Wand im IT-Büro gehängt hatte,
zog ich ihre Karte aus meiner Jackentasche. Sie hieß Constanze und
hatte eine Praxis für Physiotherapie. Daher wohl auch diese
einfühlsamen Hände. Wie es sich wohl anfühlt, wenn sie mit
derselben Hingabe, mit der sie das Bild ertastet hat, über die Haut
streicht? Allein bei dem Gedanken begann es zu kribbeln und ich bekam
eine leichte Gänsehaut.
Ich
wollte ihr unbedingt sofort schreiben. Aber kommt das nicht ein
bisschen komisch rüber? So von einem Mal Bild in der Straßenbahn
anschauen und dann sofort schreiben müssen? Nee, das geht nicht. Ich
verschrecke sie sonst noch. Naja, vielleicht schreibe ich ihr gleich,
schicke die Mail aber einfach erst ein oder zwei Tage später ab?
Sonst kann ich mich sowieso nicht mehr wirklich auf meine Arbeit
konzentrieren. Also begann ich die Mail. Aber was sollte ich
schreiben? Oder besser, was wollte ich eigentlich schreiben? Sie zu
der Ausstellung einladen? Das wäre schnell erledigt. Einfach die
offizielle Einladung, die es sowieso schon gab, in die Mail
reinkopieren, fertig. Nein, das war es nicht. Da war irgendwie
mehr…
Die
Fahrt war einfach viel zu kurz gewesen. Aber was hätte ich ihr
gesagt, wenn die Fahrt noch länger gewesen, oder wenn sie an
derselben Haltestelle mit ausgestiegen wäre? Keine Ahnung. Ich
tippte drauf los. Nee… das geht so nicht! Löschen… Wieder
tippen…
Ich
fühlte mich so wie früher, als wir uns in der Klasse die ersten
total ungeschickten Liebesbriefe geschrieben haben. Völlig peinlich.
Meistens irgendwelche englischen Songtexte einfach ins Deutsche
übersetzt. Mehr Schmalz geht eigentlich nicht. Aber damals ging es,
da es alle so oder ähnlich gemacht haben. Aber nun war ich
erwachsen. Da musste doch irgendwie mehr kommen. Kam aber nicht. Also
kopierte ich einfach doch nur den Einladungstext in die Mail. Ich las
es mir durch. Nein. Nein, viel zu unpersönlich. Das geht nicht. War
ja schon irgendwie ein besonderer Moment, der auch gewürdigt werden
musste. Also wieder tippen, löschen, tippen…
»Hallo
Constanze, ich bin diese eigenartige Person, die Bilder mit der
Straßenbahn transportiert. Übrigens hat noch nie jemand etwas
Schöneres über meine Bilder gesagt, als du heute Morgen. Ich würde
mich daher sehr freuen, wenn du am 27. Mai zu meiner Vernissage in
die alte Stadtbibliothek Vogelweg 28 kommst. 19 Uhr geht’s los.
Viele Grüße.«
So
wirklich zufrieden war ich damit auch noch nicht, aber erstmal
abspeichern und dann endlich anfangen zu arbeiten. Naja, so ganz
klappte es an diesem Tag nicht mehr mit der Konzentration. Diese
Hände, dieses Lächeln. Und überhaupt diese gesamte skurrile
Situation in der Straßenbahn. Hätte ich einem anderen wildfremden
Menschen in der Bahn ebenfalls mein Bild gezeigt? Oder hatte es mich
nur gereizt, weil ich neugierig war, wie die Blinde es anstellen
würde? Sie hat mein Bild ja förmlich liebkost, ganz zärtlich
gestreichelt. Wieder dieses Kribbeln, diese Gänsehaut. Nein,
sonderlich konzentriert konnte ich wirklich nicht arbeiten. Am Abend
packte ich den Beutel und das Handtuch, das mir zum Bildertransport
gedient hatte, aus dem Rucksack aus. Während ich den Beutel schnell
beiseite packte, hielt ich das Handtuch, einem plötzlichen Impuls
folgend fest und legte es an meine Wange. Sie hatte es berührt, als
ich das Bild wieder eingepackt habe. Mit ihren unglaublich
feinfühligen Händen…
Nachts
im Traum sah ich die Szene immer und immer wieder vor mir, wie ihre
Finger zärtlich den Linien und Farben des Bildes nachspüren. Nur
folgen sie diesmal den Linien eines völlig anderen Motivs. Den
Rundungen einer Hüfte, den feinen Linien eines halb geöffneten
Mundes und der Wölbung einer sich lustvoll entgegenreckenden Brust.
Auch ging dieses Sehen langsam aber sicher in ein Fühlen über. Was
für ein Traum! Ich kam mir, nachdem er mir nach dem Aufwachen wieder
ins Bewusstsein rückte, beinahe ertappt vor. Ich konnte mich nicht
erinnern, einen solch schwärmerischen Traum jemals schon erlebt zu
haben. Was hatte mich gepackt? Warum gerade diese Frau? Sie sah
eigentlich ziemlich durchschnittlich aus. Vermutlich so um die
vierzig Jahre alt, normal gebaut und wäre da nicht diese gelbe
Plakette mit den drei schwarzen Punkten, wäre wohl überhaupt nichts
Auffälliges an ihr.
Ob
mich das so reizte? Wahrscheinlich war es einfach diese Offenheit,
mit der sie mich angesprochen hatte. Und es hatte schon etwas sehr
Souveränes und Selbstbewusstes an sich, wie sie mich gefragt hatte,
ob sie das Bild betrachten könne. Hätte ich nie einem Menschen mit
Behinderung zugetraut. Hat mich das so beeindruckt?
Aber
wenn ich an sie dachte, dann waren es doch ihre Hände, die mir in
den Sinn kamen und aus denen eine unglaubliche Zärtlichkeit sprach.
Da hatte ich mich wohl tatsächlich in ein paar Hände verliebt.
Ich
beeilte mich, damit ich genau wieder zur gleichen Zeit wie gestern in
die Bahn stieg. Und offensichtlich hatte sie es sich genauso
überlegt. Vielleicht nahm sie sowieso jeden Morgen die gleiche Bahn
und ich hatte es bisher einfach nur nicht bemerkt, da ich in ein Buch
oder das Handy vertieft war und so früh morgens meine Umwelt sowieso
kaum eines Blickes würdigte. Aber nicht heute. Da war ich hellwach
und aufgeregt, als ich sie sah. Nur, wie sollte ich sie ansprechen?
»Hallo, wir kennen uns von gestern?« oder »Hallo, ich habe eine
Mail bereits formuliert und dann doch nur abgespeichert anstatt sie
abzuschicken?« oder »Ich habe von dir geträumt?« Nein, das ging
wohl alles nicht.
»Guten
Morgen, du fährst wohl immer mit dieser Bahn?«
»Schon
möglich«, gab sie mit einem Grinsen zurück und fügte dann noch
hinzu: »Ich hatte eigentlich schon gestern mit einer Mail von dir
gerechnet.«
Oha,
offensichtlich hatte sie doch mehr geahnt. Ein bisschen fühlte ich
mich jetzt schon ertappt. Ȁhm, ich bin einfach gestern noch nicht
dazu gekommen.«, stammelte ich, was nur dafür sorgte, dass ihr
Lächeln noch ein bisschen breiter wurde und ich rot anlief, da ich
mich komplett ertappt fühlte.
An
diesem Tag schickte ich die Mail ab. Und ich bekam auch gleich am
Abend eine Antwort: »Vielen Dank für die Einladung. Ich bin dabei.
Bis morgen früh, Constanze.«
War
das jetzt sowas wie ein Date? In der Straßenbahn? Aber, nachdem wir
die Tram nun schon als Kunstgalerie benutzt hatten, konnte sie wohl
auch ein Ort für Verabredungen sein.
In
den nächsten Tagen wurde es so etwas wie ein kleines morgendliches
Ritual. Ich stieg ein, wir erzählten für etwa fünf Minuten und ich
stieg wieder aus. So sehr hatte ich mich noch nie gefreut, immer
wieder die gleiche Bahn pünktlich zu erwischen. Klar, wir hätten
uns auch per Mail austauschen können, aber irgendwie blieb es
vorerst bei unserem morgendlichen Speed-Datings.
Der
Tag der Vernissage rückte näher. Ich war sehr gespannt, denn
diesmal würde das Treffen ja deutlich länger als nur fünf Minuten
dauern. Wir hatten uns verabredet, dass wir uns an der Haltestelle
treffen und ich sie mit in die alte Stadtbibliothek nehmen sollte.
Ich war gespannt, wie das wohl laufen wird. Im wahrsten Sinne des
Wortes. Ich habe sie ja bisher nur sitzend in der Straßenbahn
erlebt. Wie sollte ich sie begleiten? Wie funktioniert das bei einer,
die kaum etwas sieht?
Da
ich direkt von meiner Arbeit kam, fuhren wir diesmal nicht zusammen
in einer Tram. Ich stand schon etwas vor der verabredeten Zeit an der
Haltestelle und wartete. Sie saß wie gewöhnlich ganz hinten in der
Bahn. Beim Herankommen der Bahn sah ich bereits wie sie aufstand. Den
Rucksack auf dem Rücken und den Stock, noch zusammengeklappt in
ihrer Hand. Als die Bahn hielt, stieg sie aus und blieb an der
Haltestelle ein paar Schritte von der sich schließenden
Straßenbahntür entfernt stehen. Sie nahm den Stock jetzt nur am
oberen Griff und ließ den Rest nach unten klappen, sodass sich der
Stock mit ein paar schnell aufeinanderfolgenden Klacklauten zu seiner
vollen Länge aufbaute. Ich ging auf sie zu. »Hallo Constanze. Welch
ungewöhnliche Zeit und welch ungewöhnlicher Ort, um dich zu
treffen.« Nein, die Worte waren mir keineswegs spontan in den Sinn
gekommen. Auf der Herfahrt hatte ich sie mir sehr sorgfältig zurecht
gelegt. Immerhin wollte ich möglichst gekonnt über meine Aufregung
hinweg spielen. Was würde der Abend bringen? Und was habe ich mir
eigentlich überhaupt dabei gedacht, eine Blinde mit zu einer
Ausstellung zu nehmen? Ist doch eigentlich völlig absurd. Ja,
eigentlich und von außen betrachtet. Aber sie war inzwischen für
mich der Mensch geworden, den ich an so einem besonderen Abend
unbedingt an meiner Seite haben wollte. Und das war es, was heute für
mich zählte.
»Na,
schon aufgeregt?« erwiderte sie mit einem beinahe frechen Lächeln
im Gesicht. »Naja, schon ein wenig. Äh, wie stellen wir das jetzt
am besten an? Also… wie soll ich dich jetzt… ähm… anfassen?
Äh… führen?«
Sie
lachte. »Also am besten reichst du mir einfach deinen Ellenbogen,
damit ich mich daran festhalten kann. So bist du immer einen halben
Schritt vor mir und ich kann dir gut folgen.«
Gesagt
getan. Sie hatte sich für diesen Abend etwas schicker angezogen. Mit
einer schwarzen Stoffhose und einer anthrazitfarbenen Bluse wirkte
sie schon elegant, aber durch das Weglassen eines Blazers und die
flachen Schuhe noch immer sportlich. Ich konzentrierte mich darauf,
den Weg für uns beide im Blick zu behalten und mir gleichzeitig
meine Nervosität und Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Sie
fasste mich auch nur ganz sacht an meinem Ellenbogen an. Mit ihren
sanften Händen.
Täuschte
ich mich oder strich sie mir gerade tatsächlich fast unmerklich mit
dem Zeigefinger über die Haut? Ihre Fingerspitzen waren tatsächlich
unglaublich sanft. Ich bekam eine leichte Gänsehaut und hoffte, dass
sie es nicht bemerken würde. Aber da waren wir auch schon in der
alten Stadtbibliothek angekommen.
Der
Abend war grandios! Der Sekt hat wohl auch ein bisschen dazu
beigetragen, dass ich alles etwas lockerer nahm und gar nicht mehr
groß darüber nachdachte, was ich tat. Nach der offiziellen
Begrüßung der Anwesenden und einigen Worten über die Ausstellung,
war für mich der offizielle Teil des Abends erledigt. Mit meinem
Glas in der Hand, ging ich auf Constanze zu: »Darf ich bitten?«
»Ja,
sehr gerne.«, antwortete sie und ergriff meinen Ellenbogen. Diesmal
hakte sie sich aber weit weniger distanziert unter. Den Stock hatte
sie zugunsten des Sektglases zusammengeklappt auf dem Stehtisch
liegen gelassen.
So
gingen wir einfach ein Bild nach dem anderen ab und ich beschrieb
ihr, was darauf zu sehen war. Hin und wieder fragte sie, was denn
meine Inspiration für dieses oder jenes Motiv gewesen sei, warum ich
genau diese Farben gewählt habe und welche Größe das Bild
insgesamt hätte. Diese besondere Führung zog auch die
Aufmerksamkeit der anderen Gäste, die meistens in kleinen Grüppchen
herumstanden und sich unterhielten, auf sich. Einige hielten in ihren
Gesprächen innen und schauten uns an. In ihren Blicken vermutete ich
Irritation, Skepsis aber auch Neugier zu erkennen. Einige von denen
mit den neugierigen Blicken hatten den Mut gefunden, sich dieser
Privatführung anzuschließen und meinen Ausführungen zu lauschen.
Und auch andere trauten sich schließlich nachzufragen.
Durch
das Beschreiben des eigentlich Offensichtlichen entspannen sich
einige interessante Diskussionen, die mir ganz klar verdeutlichen,
wie subjektiv das Erleben von Kunst sein kann und wie jeder Mensch da
eine eigene Geschichte entwickeln kann. Ich hätte nie gedacht, dass
gerade die Anwesenheit und die Fragen einer blinden Person eine
Bilderausstellung so beleben könnte. Ein wirklich besonderes Gefühl.
Und inzwischen war ich mir auch ganz sicher, dass sie sich nicht nur
des Führen willens an mir festhielt. Nein, inzwischen strich sie so
ziemlich offensichtlich immer mal wieder über meinen Arm und ich
genoss jede ihrer Berührungen.
Nach
dem Ende des offiziellen Teils wollte ich sie noch auf einen Rotwein
in eine Bar um die Ecke einladen. Leider war es dort bereits sehr
voll.
»Ich
habe auch noch ein oder zwei Flaschen Wein bei mir zu Hause.«,
meinte Constanze. »Also, wenn es dir hier zu voll ist, können wir
auch bei mir noch was trinken.« Ja, ich glaube, in diesem Moment
wirkte die Bar schlagartig gleich noch ein bisschen voller.
»Gerne«,
erwiderte ich und mit einem breiten Grinsen: »Wo darf ich uns denn
jetzt hinführen?«
Der
Wein war irgendwie zweitrangig als wir in ihre Wohnung kamen. Ich
wollte nur noch von ihr berührt werden. Von ihren Händen. Diese
unglaublich sanften Hände sollten jede Faser meine Körpers
neugierig und behutsam ertasten. Sie schloss mich in ihre Arme und
begann zärtlich und verlangend zugleich meinen Körper zu ertasten.
Ich ließ mich fallen.
»Darf
ich dich zeichnen?« Diese Worte holten mich abrupt wieder nach oben.
Hatte sie gerade gesprochen?
»Was?«,
mehr konnte ich vor Verblüffung nicht sagen. Das passte so gar nicht
ins Bild. Nach dem Streicheln hätte es jetzt eigentlich so langsam
an die Klamotten gehen sollen. Aber zeichnen? Sie?
»Ja,
ich würde dich zu gerne zeichnen. Nackt.«
Okay,
immerhin bezüglich der Kleidung waren wir noch auf einer Linie.
»Aber
wie?«, stammelte ich leicht irritiert.
»Lass
dich überraschen. Zieh dich aus und mach es dir auf dem Sofa bequem.
Ich bin gleich wieder da.«
Schon
verschwand sie und tauchte, kaum dass ich mich ausgezogen und auf dem
Sofa drapiert hatte, mit einem Block und einer Schachtel wieder auf.
Sie legte alles auf den Tisch und öffnete die Schachtel
Pastellkreiden. Sie hatte also wirklich vor, mich zu malen.
Sie
öffnete den Block, der ein paar Bögen sehr derbes und raues
Zeichenpapier enthielt. Sie nahm eine Kreide nach der andern und
hielt sie sich dicht vor die Augen, bis sie offensichtlich die
gewünschte Farbe gefunden hatte. Dann schob sie den Tisch direkt vor
das Sofa und setzte sich zu mir. Mit der linken Hand fuhr sie sanft
über meinen Körper und mit der rechten begann sie leicht
quietschend und kratzend Linien auf das Papier zu zeichnen.
Konzentration und Hingabe zeichneten sich in ihrem Gesicht ab. Ein
Ausdruck, der mich schwach werden ließ… Ich traute mich kaum zu
atmen, aus Angst, sie zu unterbrechen. Ich schloss die Augen und
konzentrierte mich auf die Linien, die sie auf meinem Körper entlang
fuhr, um sie auf Papier zu übertragen.
Ihre
Finger tasten über mein Gesicht, die geschlossenen Augen, den leicht
geöffneten Mund. Sie lässt keinen Millimeter aus. Irgendwann folgen
den forschenden Fingerspitzen die hungrigen Lippen, die langsam
meinen Hals hinab kribbeln.
»Du
bist schön.«, haucht sie in mein Ohr, während sie die Kreide auf
dem Tisch ablegt, damit sie mit beiden Händen meinen Nacken
liebkosen kann. Ihre Fingerspitzen kokettieren mit meiner Gänsehaut,
während die Lippen kurz – ein wenig fester – meine Brustwarzen
umschließen. Ein leichtes Zittern fährt durch meinen Körper. Sie
haucht einen zärtlichen Kuss auf meinen Bauchnabel und fährt dann
mit ihren Lippen in kleinen Kreisen weiter hinab. Die Berührungen
werden intensiver – verlangender. Das Prickeln im Bauch, zieht sich
zum Brustkorb hinauf und lässt mich schneller atmen, die Umgebung
schwindet. Ihr Mund ist inzwischen an seinem Ziel zwischen meinen
Beinen angekommen und gibt die Zunge zum lustvoll gierigen Spiele
frei.
Ihre Hände umfassen meine Hüften: greifen, reiben, massieren. Meine Beine erbeben, während ich ihr unwillkürlich mein Becken entgegen recke. Wellen der Erregung durchfluten meinen Körper, lassen ihn zucken und stöhnen, bis ich schließlich heiß und erschöpft in die Kissen sinke. Nein, ihre Augen können mich nicht erblicken, doch nie hat mich jemand durchdringender betrachtet. Wie das Bild am Ende aussah, weiß ich gar nicht. Ich habe vergessen, einen Blick darauf zu werfen. Ich weiß nur, dass es mit Sicherheit mein absolutes Lieblingsbild ist.
Aus FUCK[dis]ABILITY von Franziska Appel und Benjamin Schmidt, erschienen bei Edition Outbird
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