No Cops at Pride: Eine alternativlose Forderung

Eine Regenbogenflagge mit der Aufschrift "Stonewall Forever".

Die Forderung “No Cops at Pride” führt jährlich zu hitzigen Diskussionen in der LGBTQIA-Community. Doch für eine Community, die Wert auf Gleichberechtigung legt, ist die Umsetzung alternativlos.

Es gibt Diskussionen, die verschiedene Communitys immer wieder einholen. Manche Diskussionen kommen in unregelmäßigen Abständen immer wieder auf, nach anderen Debatten kann man die Uhr stellen. Eine dieser Diskussionen ist die “No Kink at Pride” Diskussion, die jährlich kurz vor dem Pride Month beginnt und normalerweise auch bestehen bleibt, bis der letzte CSD stattgefunden hat. 

Eine weitere dieser Diskussionen läuft unter dem Motto “No Cops at Pride”. Auch diese Debatte wird jedes Jahr geführt, doch dieses Mal war etwas anders. Die Vehemenz, mit der innerhalb der Community gestritten wurde, hat ein neues Level erreicht. Ich habe mich an den Diskussionen beteiligt und ich musste feststellen, dass das Ausmaß an Geschichtsvergessenheit, Ignoranz, Relativismus und die Bereitwilligkeit zur Ausgrenzung innerhalb der Community völlig neue Maßstäbe erreicht hat. Selbst die “No Kink at Pride” Debatte kann diesbezüglich nicht mithalten.

Reden wir also über queere Geschichte, Intersektionalitäten, Ausgrenzung und Retraumatisierung und darüber, warum es in dieser Diskussion keine Mitte, sondern nur Pro und Contra geben kann.

Stonewall was a riot!

Der Satz “Stonewall was a riot!“ ( zu deutsch “Stonewall war ein Aufstand!”) ist ein Slogan der Seite, die die Polizei nicht auf einem CSD haben möchte. Seine Bedeutung und argumentative Kraft liegt in den Ursprüngen der Prides. 

Die Rechte queerer Menschen, von denen wir heute profitieren, sind nicht gottgegeben. Sie fielen nicht einfach so vom Himmel und sie wurden nicht bereitwillig und aus reiner Toleranz von der Mehrheitsgesellschaft festgelegt. Wie viele andere Rechte, die marginalisierte Menschengruppen heute besitzen, wurden sie hart und unter Gefahren von mutigen Menschen erkämpft.

Einer der bedeutendsten Kämpfe, vielleicht sogar der bedeutendste, waren die Stonewall Riots. In den 60er Jahren gab es für Menschen aus der LGBTQIA-Community kaum Treffpunkte und Safe Spaces. Wir reden hier von einer Zeit, in der die staatliche Unterdrückung queerer Menschen allgegenwärtig war. Ein Beispiel: Von den 1940er bis in die 60er-Jahre wurden LGBTQIA-Personen in den USA oftmals verhaftet, wenn sie gegen die so genannte Drei-Teile-Regel verstoßen hatten. Die Regel besagte, dass eine Person mindestens drei geschlechtsspezifische Kleidungsstücke tragen musste, um nicht wegen Crossdressing verhaftet zu werden. Wenn man sich heute Berichte aus dieser Zeit ansieht, findet man häufig Anmerkungen zu dieser Regel. Der Punkt ist, dass es nie ein derartiges Gesetz gab.

Einsatzkräfte der Polizei waren schon immer großartig darin, Gesetze und Regeln gegen Menschen aus der Community äußerst willkürlich auszulegen. In New York gibt es ein Gesetz aus dem Jahr 1845, das häufig gegen die LGBTQIA-Community eingesetzt wurde und ursprünglich dazu diente, Landwirte zu bestrafen, die sich als Native Americans verkleidet hatten, um sich gegen Steuereintreiber*innen zu wehren.

Einer der wenigen Treffpunkte war das “Stonewall Inn”, eine Bar im Greenwich Village in New York. Am 28. Juni 1969 kommt es in der Bar zu einer Auseinandersetzung zwischen queeren Menschen und der Polizei. Das Stonewall Inn war gut gefüllt, als acht Polizist*innen in Zivil die Bar betraten. Zusätzlich zu den Angestellten der Bar nahmen sie auch Drag Queens und andere Menschen, die des Crossdressings verdächtigt wurden, fest. Doch diesmal gab es einen Widerstand wie nie zuvor.

Zwei trans Frauen of Color, Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera, widersetzten sich der Festnahme und warfen die erste Flasche (bzw. einen Ziegelstein oder Stein) nach den Polizist*innen. Es war der Beginn eines mehrtägigen Aufstandes der queeren Community  gegen staatliche Unterdrückung und Gewalt. Am 28. Juni 1970, dem ersten Jahrestag der Aufstände, organisierten New Yorker Aktivist*innen den Christopher Street Liberation March als Abschluss der ersten Pride Week in der Stadt. Es war die Geburtsstunde des Christopher Street Day.

Diese ungewöhnlich heiße Sommernacht im Jahre 1969 empowerte und befreite unzählige Menschen, weit über die Grenzen New Yorks hinaus. Natürlich nicht von jetzt auf gleich. Wir kämpfen immer noch, um Rechte die uns zustehen und um die Rechte zu verteidigen, die wir uns so hart erstreiten mussten.

Prides sollten sicher und einladend für uns alle sein.

Jetzt könnte man sagen “Okay, nette Geschichte und Danke für damals, aber was hat das mit der jetzigen Diskussion zu tun?”. Tatsächlich sehr viel, denn die Geschichte dieser Community beweist, dass das Vertrauen in die gesamte Institution nicht gerechtfertigt ist. Stattdessen reproduziert eine Entscheidung der CSD-Organisator*innen, die pro Teilnahme der Polizei ausfällt, unabhängig von der Stadt, direkte Ausschlüsse für Menschen aus unserer Community.

Unsere Community ist kein geschlossener Kreis, wir sind keine einheitliche Gruppe von Menschen. Wir sind eine Community, die unendlich divers ist. Diese Diversität sollte eine Stärke sein, die uns vielfältige Perspektiven schenkt. Perspektiven, die wir wertschätzen sollten, aus denen wir lernen können. Doch stattdessen haben viele von uns verlernt, ihre eigenen Privilegien zu prüfen und für die Menschen unter uns einzustehen, die weniger privilegiert sind.

Klar ist, die Polizei ist für gewisse Menschen in diesem Land nicht der “Freund und Helfer“, für manche von uns ist es tatsächlich das genaue Gegenteil. BIPoC, trans* Menschen, Menschen mit Behinderung, Sinti*ze und Rom*nja, arme und obdachlose Menschen, und Sexarbeiter*innen sind am stärksten von dem strukturellen Machtmissbrauch betroffen, da diese bekanntermaßen rassistische, ableistische, klassistische und sexarbeitsfeindliche Institution mit einer tief verwurzelten Queerfeindlichkeit verwoben ist, was zu einer intersektionalen und nicht reduzierbaren besonderen Feindseligkeit führt, welche diese Menschen in der Regel zu Verfolgten macht und sie ausgrenzt. Bedenkt man jetzt noch, dass es zwei trans Frauen of Color waren, die an der Entstehung der Pride entscheidend mitgewirkt haben, ebenso wie die obdachlosen jungen schwulen Männer, die das Stonewall Inn als den einzigen sicheren Ort in ihrem Leben betrachteten, hat die Ausgrenzung und potentielle Retraumatisierung von mehrfach marginalisierten queeren Menschen, durch die Teilnahme der Polizei, einen zusätzlichen faulen Beigeschmack.

Wer wird uns beschützen, wenn wir die Polizei ausschließen?

Diese Frage fällt sehr häufig, wenn man sich in einer Diskussion über dieses Thema befindet. An der Stelle muss klar sein, die Prides sind angemeldete, politische Demonstrationen und fallen folglich unter das deutsche Versammlungsrecht. Es gilt dabei das Versammlungsrecht des Bundes, solange Bundesländer kein eigenes Versammlungsrecht haben. Bundesländer mit einem Landesversammlungsgesetz wären: Bayern, Berlin (teilweise), Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hessen. 

Durch die Anmeldung einer Demonstration soll sichergestellt werden, dass der Versammlung der erforderliche Schutz, z.B. vor Gegendemonstrant*innen, gewährleistet werden kann. Eine Demonstration wie ein Christopher Street Day wird in Deutschland nicht ohne Sicherung durch die Polizei ablaufen, schon gar nicht in größeren Städten. Die Debatte dreht sich eigentlich auch gar nicht darum, sondern um die Teilnahme der Polizei an den Prides. Also um das Mitwirken an den Paraden oder Informationsständen.

Aber wenn wir schon beim Thema Schutz sind, müssen wir doch einsehen, dass dieser “Schutz” etwas ist, worauf wir uns nicht verlassen dürfen. Wir sehen immer wieder, dass die Polizei die Menschen aus unserer Community nicht schützt. Malte C. wurde auf dem CSD in Münster ermordet, nachdem er einer Gruppe von Frauen helfen wollte. Wo war der Schutz bei diesem Vorfall? Eine polizeiliche Gewerkschaft schießt direkt gegen das Selbstbestimmungsgesetz, und damit gegen große Teile unserer Community. Übrigens sogar mehrmals, allerdings hat die GdP mittlerweile einige dieser Tweets gelöscht.

Wir müssen uns damit abfinden, dass die Polizei nicht grundsätzlich auf unserer Seite steht, sie erfüllt bestenfalls ihre Arbeit. Diese Tatsache kann uns aktuell vielleicht einigermaßen schützen, eher schlecht als recht und auch stark abhängig von den jeweiligen Beamt*innen aber immerhin etwas. So kann man es aktuell durchaus sehen. Doch was passiert, wenn sich die Regeln und Vorgaben ändern? 

Ein gar nicht so abwegiges Beispiel, weil wir es so ähnlich aus anderen Ländern kennen: Nehmen wir für einen Augenblick an, die AfD würde es in den nächsten Jahren tatsächlich in die Bundesregierung schaffen, was würde passieren, wenn wir plötzlich eine Drei-Teile-Regel in Form eines Bundesgesetzes hätten? Der § 175 StGb wurde erst 1994 abgeschafft, da juckt es viele Rechtsradikale und radikal Konservative doch direkt wieder in den Fingern. Wer würde solche Gesetze durchsetzen? Richtig, die Polizei.

Jetzt kann man natürlich den frommen Wunsch äußern, dass das schon nicht passieren wird. Die Realität zeigt uns jedoch das Gegenteil. Menschen aus unserer Community werden in mindestens 67 Staaten weltweit kriminalisiert. Sie werden direkt von den örtlichen Polizeikräften verfolgt. LGBTQIA freie Zonen in Polen sind nur ein Beispiel von vielen. In Ungarn geht die Regierung seit Jahren gegen unsere Community vor. In Russland wurden Geschlechtsangleichungen verboten. Länder wie Brunei, Iran, Jemen, Mauretanien, Nigeria, Uganda und Saudi-Arabien sehen für homosexuelle Handlungen die Todesstrafe vor, in Afghanistan, Pakistan, Katar, Somalia und den Vereinigten Arabischen Emiraten kann die Todesstrafe dafür vollstreckt werden. Die Beispiele sind euch zu weit weg oder nicht “westlich” genug? Okay, Texas ahndet die Behandlung von trans* Jugendlichen als „Kindesmisshandlung“. Letzteres ist übrigens nur ein Beispiel von vielen, wenn es um Queerfeindlichkeit in unseren “moralisch am weitesten fortgeschrittenen Ländern” geht.

Wenn man jetzt behauptet, dass wir hier in Deutschland und nicht in Uganda sind, hat  man mit dieser äußerst scharfsinnigen Beobachtung natürlich recht. Allerdings belegen die Beispiele doch sehr deutlich, dass diese Gesetze von der örtlichen Exekutive auch durchgesetzt werden. Kippt die rechtliche Situation für die Community in Deutschland, wird die Polizei erneut dementsprechend handeln.

Aber es gibt doch auch queere Polizist*innen!

Ja, die gibt es und kein Mensch bestreitet diesen Fakt. Sie werden auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sie können auf jeden Fall bei einer Pride mitfeiern, wenn sie nicht im Dienst sind. Alles andere würde auch wenig Sinn ergeben. Selbst bei einer grundsätzlichen Abneigung gegenüber den Polizist*innen kann man einfach nicht erkennen, ob die nächstbeste Person für die Polizei arbeitet. Im Dienst ist das aber eine völlig andere Situation.

Es ist keine Diskriminierung, wenn die Organisator*innen die Teilnahme der gesamten Institution an den Prides untersagen. ACAB steht nicht für “assigned cop at birth”, der Job ist keine Identität die es zu verteidigen gilt, auch wenn manche Beamt*innen gerne so tun. Es spielt einfach keine Rolle, ob Polizist*innen queer oder BIPoC sind, oder ob sie irgendeinen anderen marginalisierten Hintergrund haben, sie haben diesen Beruf gewählt. Sie wurden nicht durch irgendwelche Umstände gezwungen oder genötigt, der Polizei beizutreten.

Der Punkt ist: Es ist nicht ausgrenzend, Menschen dazu aufzufordern, nicht dienstlich an den Prides teilzunehmen oder ihnen die Teilnahme durch die CSD-Organisation zu untersagen, insbesondere wenn ihr Arbeitsplatz für so viel Schaden innerhalb der betroffenen Community verantwortlich ist. Die Polizei zu verteidigen und die Pride-Organisator*innen zu bitten, die Situation der Polizist*innen anzuerkennen, ist heuchlerisch. Wenn man wegen seines Berufs nicht an einer Pride teilnehmen kann, bedeutet das übrigens zu keinem Zeitpunkt, dass man weniger als Mensch behandelt wird.

No Cops at Pride: Weil es das einzig Richtige ist.

Die Unterdrückung der LGBTQIA-Community wird seit jeher von der Polizei aufrechterhalten. Von der frühen Verfolgung, bis hin zum nicht gewährleisteten Schutz, über die neueren Gesetze, die sich weltweit gegen queere Menschen richten.

Die Institution Polizei existiert, um den Status quo zu schützen und zu dienen, um historische Machtverhältnisse zu sichern. Wenn wir uns nur wünschen, dass unsere Queerness in diese Ordnung passt, dann sind die Polizist*innen sicherlich unsere Verbündeten. Ist es unser innigster Wunsch, uns völlig zu assimilieren und die allocis-heteronormative Welt der Mehrheitsgesellschaft zu spiegeln? Sollten wir nicht eher danach streben, den Status quo zu stören und die damit verbundenen Kulturen der Unterdrückung und der Gewalt zu zerstören? 

Unser Selbstverständnis als queere Menschen sollte als Gegenpol zu den Kräften verstanden werden, die unsere Geschwister enteignen, entmündigen, einsperren und töten. Dazu müssen wir alle die Farce der Repräsentation durschauen, die durch queere Polizist*innen und angebliche “Allys” in Uniform auf den Prides betrieben wird, denn mehr als Pinkwashing ist das nicht. Queere Polizist*innen werden die Gesetze durchsetzen, die gegen sie selbst und ihresgleichen geschrieben wurden, angebliche Allys erst recht. Darüber können auch keine Stände auf einem CSD oder ein paar Anstecknadeln in Regenbogenfarben hinwegtäuschen. Ist ein regenbogenfarbener Schlagstock ein Glück für die Geschlagenen? Wird ein Armband in Regenbogenfarben unseren BIPoC Geschwistern ein Trost sein, wenn sie das nächste Mal aus rassistischen Motiven von der Polizei schikaniert werden? Freuen sich queere Geflüchtete über Regenbogenanstecknadeln bevor sie in ihr Heimatland abgeschoben werden, wo ihnen Folter und der Tod drohen, weil sie ihr Queersein nicht beweisen konnten?

Wir dürfen nicht zulassen, dass diese weltbewegende und weltbildende Kraft unserer Queerness von denen vereinnahmt wird, die nur die Macht des Status quo festigen wollen. Diese Kraft, die unsere Community besitzt, darf nicht gestohlen, verwässert, domestiziert oder entmündigt werden. Unsere Solidarität füreinander kann große Siege erringen, das hat die Geschichte bewiesen. Doch wenn wir diejenigen mit einbeziehen, die sich immer gegen uns gestellt haben und unsere Solidarität an sie verschenken, werden wir uns letztlich selbst verlieren.

Erinnern wir uns daran, dass unsere queeren Vorfahren und Ältesten, diejenigen die für unsere Rechte gekämpft haben, in ihren besten Momenten, einander geliebt und beschützt haben; sie haben gestohlen, um sich und einander zu ernähren, sie haben Hausfriedensbruch begangen, um Schutz zu finden und um vor der Polizei zu flüchten, sie haben gegen das Gesetz und die Welt geliebt und gelebt. Sie waren in ihrem Wesen illegal, und sie warfen Ziegelsteine auf Polizist*innen, um für eine bessere, freiere Welt zu kämpfen.

Deshalb ist “No Cops at Pride” alternativlos. Für die Polizist*innen unter euch Lesenden noch folgendes: Wenn ihr auf der Pride dienstlich mit euren Kolleg*innen feiern wollt, sucht euch einen anderen Job.

Foto by Christopher Penler

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