Friends with Benefits – Sexworkerin mit Behinderung.

Die Sexarbeiterin Ruby lehnt an einer Holzwand. Den Kopf leicht nach Links geneigt blickt sie lasziv in die Kamera.

Sexarbeit als Lohnarbeit zwischen Empowerment & Selbstausbeutung.

Vorwort:

Eigentlich sollte hier jetzt ein Text über die Möglichkeiten von Virtual-Reality Brillen im Bereich der Erotik stehen. Es sollte darum gehen, wie bzw. ob behinderte Menschen diese Brillen einsetzen könnten, zum Beispiel für die Selbstbefriedigung. Doch dann kam Ruby mit ihrem Angebot über ihren Gastbeitrag und da konnte ich natürlich nicht Nein sagen.

Der Beitrag passt aus mehreren Gründen perfekt zu Sexabled. Ruby ist eine Sexarbeiterin, daher passt es zeitlich super zu meiner Arbeit über Sexarbeit im vergangenen Monat. Sie arbeitet im BDSM-Bereich und Kinkster und Fetische haben hier bekanntlich immer einen offenen Raum. Der entscheidende Punkt war allerdings die Tatsache, dass sich Ruby im Autismus-Spektrum befindet.

In ihrem Beitrag erzählt Ruby, wie sie zu dieser Arbeit gekommen ist, wie sie ihren Job wahrnimmt und wie es ihr aktuell geht. Vielen Dank Ruby, für deinen großartigen Beitrag. Euch, liebe Leser*innen, wünsche ich an dieser Stelle, wie immer, viel Spaß beim Lesen.

Sexworkerin mit Behinderung. Sexarbeit als Lohnarbeit zwischen Empowerment & Selbstausbeutung.

Als ich Christians Seite gefunden habe, war ich sehr angetan von der fundierten Art, mit der sich eins hier einem komplexen Thema, wie beispielsweise dem Sexkaufverbot annimmt. Und mir war sofort klar, dass ich in diesem Kontext gern einen Gastbeitrag schreibe und dabei auch an mein Eingemachtes rühre.

Aus Angst vor positiver Diskriminierung, aber auch aus Sorge, dass die Anti-Front das Thema Behinderung aufgreift und für ihre Zwecke nutzt. Mich versuchen könnte zu entmündigen. Seit noch gar nicht so langer Zeit habe ich mich aber entschieden, dass ich trotzdem auch über die schwierigen und komplizierte Seite meiner Sexarbeit sprechen möchte und eben nicht den Mantel des Schweigens darüber breiten will.

Meine Behinderung ist nicht sichtbar. Ich musste Anfang 30 werden, bis ich endlich auf die Spur dessen kam, was mich gefühlsmäßig lange von sozialer Interaktion abgehalten hatte. In Schule und Studium war ich Außenseiterin, Einzelgängerin und konnte nur schwer nachvollziehen, wieso mich Gruppen, Cliquen und Teamarbeit über Gebühr anstrengte. In dieser Zeit kam das Thema Hochsensibilität als Modediagnose auf. Ich liebäugelte eine Zeit damit, ließ es aber bald wieder fallen, es war mir zu schwammig formuliert und in manchen Kontexten war ich gar nicht sensibel, sondern äußerst fehleranfällig. Durch die Bekanntschaft mit einer männlichen Person im Autismus-Spektrum erlebte ich: Krass, vieles kommt mir so bekannt vor. Interessanterweise fiel das in genau die gleiche Zeitspanne, in der ich mit Sexwork begann.

Wie alles begann.

Für BDSM hatte ich mich immer schon interessiert. Und ich hatte keine Berührungsängste mit fremden Körpern, oder damit, über Sexuelles und Intimes zu sprechen.

Ich war ein paar Jahre durch die Südhalbkugel getingelt, um mich zu emanzipieren, von meinem Umfeld und meiner Familie und als ich nach Deutschland zurückkehrte, meldete das BAFöG-Amt an, dass ich meine Studienschulden langsam, aber sicher zurückzahlen musste. Mit meinem damaligen Job als Teamleitung eines Reiterhofes verdiente ich damals noch unter heutigem Mindestlohn und realisierte, SO wird das nicht gehen. Mein Arbeitspensum lag aber bereits zwischen 50 und 60 Wochenstunden, bei 42 Sollstunden. Tiere haben oft Bedürfnisse, die sich nicht an die Uhrzeiten halten. So kam ich auf die Idee, Sexwork könne meine Geldsorgen relativ schnell und angenehm regulieren. Meine Sexualität war immer ein bisschen absurd, queer und voller BDSM-Elemente, daher suchte ich mir in diesem Bereich eine Tätigkeit als Escort-Lady.

2015 wurde ich Opfer eines Zwangsoutings, das ich hier aber nur am Rande thematisieren möchte. Ich erlitt einen BurnOut und erlebte erstmals, dass meine „Diagnose“ im Autismus-Spektrum nicht nur Vorteile brachte, wie ich es bisher eingestuft hatte, sondern auch Herausforderungen. Zum Beispiel lehnten mich 5 Therapeut*innen nacheinander ab, weil ich offen über mein Asperger Syndrom sprach. Ich durchlitt eine ausgeprägte depressive Episode, bedingt durch den Verlust meines Arbeitsplatzes nach dem Zwangsouting, die ich durch Masturbation und intensive BDSM-Erlebnisse (privat & Sexwork) in Schach hielt. Mittlerweile arbeitete ich in BDSM-Studios. Die Bestätigung meiner Kunden (damals waren es wirklich ausschließlich Männer) war sehr wohltuend für mich, nach der ganzen Abwertung, die ich erlebt hatte.

Als günstig erlebte ich auch den Umstand, dass ich in relativ kurzen Arbeitsphasen meinen Lebensunterhalt verdienen konnte und trotzdem nach und nach meine Schulden abbezahlte. Die Eigenverantwortung in der Sexarbeit gefiel mir ebenfalls, konnte ich so selbst priorisieren, was, wann und mit wem geschehen würde. Das alles sind Aspekte, die mir heute sehr wichtig sind.

Auf der negativen Seite ist Stigmatisierung zu nennen, und die informelle, äußerst diverse Struktur von Sexwork. Das Letztgenannte hat auch Vorteile, aber ist für mich manchmal herausfordernd. Ich bin manchmal sehr unsicher, wenn ich in Gruppen sein muss, und finde meinen Platz da nicht so leicht. Ich bekomme zwar sehr viele Zwischentöne mit, aber bei der Einordnung hapert es manchmal. Es passiert, dass mich gruppendynamische Vorgänge überraschen und ich nicht verstehe, wie es dazu kommen konnte. Bei so komplexen Zusammensetzungen von Akteur*innen wie in der Sexarbeit war es für mich lange Zeit nicht einfach, einen angenehmen Umgang mit meinen Kolleg*innen zu gestalten.

Ein Aspekt meines autistischen Spektrums ist, dass ich manchmal nur verzögert wahrnehme, wenn mir etwas zu viel ist und ich mir grundsätzlich viel zumute. Meine Begeisterungsfähigkeit ist groß. Meine Leidenschaft auch. Eine befreundete Aktivistin hat mal gesagt: Das Brennen für „unsere Sache“ (die Rechte von Sexarbeiter*innen) sei einerseits ihre Kraftquelle und andererseits ihr Verderben. Genauso sehe ich das auch.

Kraftquelle oder Selbstausbeutung – oder beides?!

Als selbständige Sexarbeiterin muss man relativ viel Umsatz machen um seine Steuerlast, Versicherungen, die gewerbliche Miete und Werbungskosten zu decken und dann noch davon anständig leben zu können. Am Anfang lebte und arbeitete ich nach dem Motto, mehr ist mehr und praktizierte massive Selbstausbeutung. Wo zuvor in meinem Leben, als ich noch angestellt arbeitete, mir die Chefs und Vorgesetzten im Nacken saßen, übernahm ich nun selbst diese Rolle. Auch aus Angst, es nicht zu schaffen und wieder in die Tretmühle des Angestellten-Daseins zurück zu müssen. Nach 1.5 Jahren Selbstständigkeit hatte ich die nächste Depression und entschied in dieser grässlichen Zeit, dass sich was ändern musste. Ich wechselte ins Studio LUX in Berlin und begann dorthin zu reisen, wo ich angenehme Kund*innen hatte (Ja, nun auch Frauen). Ich entschied, dass ich nicht reich werden wollte, sondern nur ausbalanciert und möglichst mit viel freier Zeit für andere Projekte, über ein Auskommen verfügen wollte. Ich lernte, dass sich intensive Arbeitsphasen im Wechsel mit ausgiebigen Ruhephasen für mich besser eignen, als ein konstant gleiches Arbeitsaufkommen. Gleichförmigkeit ist eh die Killerin in meinem Leben, ich bin kein großer Routinier, obwohl ich als authentische Asperger-Frau schon auch meine festen Rituale und Abläufe habe.

Empowernd ist an der Sexarbeit für mich, dass ich mich immer wieder neu erfinden kann, und dass ich solange mein Durchschnittverdienst stimmt, ziemlich viel selbst entscheiden kann. Seitdem ich mich als Aktivistin engagiere, erlebe ich auch meine persönliche, subjektive Aneignung des Diskurses rund um Sexarbeit als empowernd. Insbesondere auch durch die Fähigkeit, meine Privilegien als weiße cis-Frau abzuwägen und die mir, nüchtern betrachtet, eine Verantwortung auferlegen. Der ich gern versuche nachzukommen.

Toll finde ich, dass ich meine eigenen Fetische ausleben kann, für die es auf dem „Partner*innenmarkt“ sehr wenig passende Gegenstücke gibt, die sowohl wertschätzend, als auch kompetent mit diesen Vorlieben umgehen können. Wie großartig ist es denn, dass ich damit sogar meinen Lebensunterhalt verdiene?! Und wertschätzend Menschen mit ähnlichen Vorlieben abholen kann?!

Corona – und jetzt?

Als im März die Corona-Pandemie meinem Lebensentwurf der letzten Jahre ein abruptes Ende setzte, denn die Arbeitsstätten der Sexarbeit sind seit mehr als 120 Tagen geschlossen, löste dies eine tiefe Krise in mir aus. Ich versuchte es mit Mini-Jobs im Mindestlohnsektor, ertrug die Ausbeutung nicht, erkrankte wieder, kapitulierte schließlich und beantragte HartzIV. Das verschaffte mir in den letzten Monaten eine Atempause bezüglich der Deckung meiner Fixkosten. Ein Dauerzustand kann das nicht sein, da nur bis Ende September keine Vermögensprüfung vorgenommen wird, und auch die anderen Gängelungen, wie Wohnungsgröße, Eingliederung etc. bis dahin ausgesetzt sind. Aber meine Akzeptanz für die neue Situation einer Gesellschaft im Pandemie-Modus musste erst einmal wachsen.

Meine Motivation bei der Sexarbeit zu bleiben ist einfach. Im Kapitalismus gibt es einfach wenig Bereiche, in der eine Frau selbst bestimmen kann, für welches Geld sie arbeitet und noch weniger Jobs, die nicht von so starker Fremdbestimmung gekennzeichnet sind. Das kleinere Übel? Würde ich nicht sagen, denn ich kann meiner Sexarbeit durchaus was abgewinnen. Es ist aber Arbeit und manchmal nervt sie. Stets ermüdet sie mich und das Tauziehen um Menschenrechte von Sexarbeitenden macht es nicht besser.Und doch hat die Sexarbeit mir die Möglichkeit verschafft mich einigen Traumata meines Lebens zu nähern und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Weil die Sexarbeit mich in den letzten Jahren ernährt hat, lernte ich mich nach und nach viel besser kennen und lernte meine Bedürfnisse besser kennen. Danke dafür, Sexwork!
Mir helfen meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus der Sexarbeit. Ich habe mir mittlerweile bewusst ein soziales Umfeld aufgebaut. Das klingt nun wieder sehr nüchtern… Aber es ist für mich immer eine bewusste Entscheidung in Kontakt mit Menschen zu treten und es war ein Meilenstein zu etablieren, dass diese Kontakte angenehm, kurzweilig und warm sein sollten. Meine Gefühle sind nicht nüchtern, sondern voller Zuneigung und dem Wunsch, diese Beziehungen und Freundschaften möglichst respektvoll und umsichtig zu gestalten.

Interessanterweise sind meine Emotionen gegenüber meinen Kund*innen nicht wesentlich anders gelagert als die gegenüber meinen Freund*innen. Ein Unterschied ist, dass ich mir angewöhnt habe, sie nicht über Gebühr mit Bedeutung aufzuladen oder sie zu „mächtig“ werden zu lassen. Kund*innen kommen und gehen, und nicht jedem Wunsch kann oder möchte ich gerecht werden. Mein Selbstverständnis erlegt mir auf, sehr umsichtig vorzugehen. Beide Personengruppen, Kund*innen und Freund*innen wähle ich aus und kann so mitbestimmen, wie der Kontakt verläuft. Anders ist es mit Familie, aber das steht nun wirklich auf einem anderen Blatt Papier.

Zum Abschluss möchte ich ein Plädoyer für die Sexarbeit halten, auch und gerade, weil sie ihrem Wesen nach sehr inklusiv ist. Sowohl ich als Sexarbeiterin mit Behinderung habe meinen Platz, wie auch meine Kund*innen mit Behinderung. Es ist Raum da für uns, und unsere Sexualität. Dass Geld dafür fließt, vereinfacht vieles. Emotionale Gegenleistungen und Care-Arbeit in Partner*innenschaften werden leider oft nicht als Form der Entlohnung aufgefasst, und doch ist es oft genau das: Unbezahlte Arbeit in der Hoffnung eine emotionale Entschädigung dafür zu erhalten. In meiner Form der Sexarbeit veranschlage ich dafür einen Kostenpunkt und verhandele explizit die Gegebenheiten der Dienstleistung. Wie oft habe ich mir in meiner privaten Sexualität gewünscht, dass wir so offen und transparent auch mit unseren Partner*innen umgehen könnten. Ich vertrete diesen Standpunkt auch in meinen Redebeiträgen als Speakerin, möchte es aber hier trotzdem formulieren: Von den Sexarbeitenden kann die Gesamtgesellschaft viel lernen. Von Sexarbeiter*innen mit Behinderung gibt es wiederum Anderes zu lernen. Lasst uns bitte voneinander lernen.
Danke Christian, für diesen Raum, den Du mir hier gibst.

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