Handicap-Love – Lasst uns doch mal über trans Menschen mit einer Behinderung sprechen.
Warum wird so selten über trans Menschen mit einer Behinderung geredet? Ich denke wir sollten das ändern.
In letzter Zeit wird relativ viel über trans Menschen gesprochen. Es ist zweifellos großartig und wichtig, dass sich diese Menschen in den letzten Jahren immer mehr Gehör in der öffentlichen Wahrnehmung verschaffen. Denn die Diskussionen sind leider immer noch zu oft von Unverständnis geprägt. Dabei ist es auch egal, auf welcher Ebene diese Diskussionen geführt werden, ob am Esstisch mit der Familie oder innerhalb der Bundesregierung.
Eine andere Gruppe, die seit einiger Zeit glücklicherweise auch immer präsenter wird, ist die Gruppe von behinderten Menschen. Verbände für behinderte Menschen und behinderte Aktivist:innen leisten großartige Arbeit, um die Lebensbedingungen von eingeschränkten Menschen zu verbessern. Hier wird, ebenso wie bei den trans Menschen, viel diskutiert und es herrscht oft großes Unverständnis für die betroffenen Personen.
Ein ganz bestimmter Kreis von Menschen wird bei all den Diskussionen gerne übersehen. Das ist sicher keine Absicht, dieser Kreis von Menschen ist wahrscheinlich nicht besonders groß und es muss auch nicht offensichtlich sein, dass eine Person zu diesem Kreis gehört, deshalb ist er leicht zu übersehen. Ich spreche von trans Menschen mit einer Behinderung.
Trans? Das hat bestimmt das Internet erfunden!
Ich denke wir müssen an dieser Stelle einmal ganz kurz erklären, was „Trans“ eigentlich bedeutet. Transgender (lateinisch trans ‚jenseits von‘, ‚darüber hinaus‘ und englisch gender ‚soziales Geschlecht‘) ist eine Bezeichnung für Menschen, deren Geschlechtsidentität oder Geschlechtsrolle von ihrem angeborenen Geschlecht abweicht. Dazu zählen trans Männer und trans Frauen aber auch Non-/Nichtbinäre, Genderqueere, Bigender, Pangender, Genderfluide, Agender oder Neutrois. Die sexuelle Orientierung spielt hierbei keine Rolle, trans Menschen können z. B. heterosexuell, homosexuell, bisexuell, pansexuell, asexuell sein oder irgendeine hier nicht aufgeführte sexuelle Orientierung haben. Ihr seht also dass der Begriff “Trans” ein Sammelbegriff ist.
Transsexuelle Menschen sind in der Regel bemüht, geschlechtliche Körpermerkmale soweit wie möglich, an ihr Geschlechtsbewusstsein anzugleichen, da sie sich nicht mit dem Geschlecht, in dem sie bislang gelebt haben identifizieren können. Diese Angleichungen können auch nur teilweise oder gar nicht geschehen. Allerdings wird die Bezeichnung Transgender von vielen Transexuellen abgelehnt, da damit auch ein uneindeutiges Weder-noch gemeint sein kann.
Ich bin ein behinderter trans Menschen, nicht entweder dies oder das.
An dieser Stelle folgt jetzt mal eine Art Outing, obwohl man es auch durchaus schon erahnen konnte, wenn man mich kennt oder sich die Bilder auf meinem Blog ansieht oder etwas zwischen den Zeilen liest.
Ich identifiziere mich als nicht-binär, was bedeutet, dass ich mich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich identifiziere. Dementsprechend verorte ich mich selbst irgendwo zwischen den Geschlechtern und deswegen fühle ich mich äußerst unwohl, wenn man mich in typische Geschlechterrollen steckt. Diese Tatsache und die Tatsache dass ich eine Behinderung habe, sind untrennbar miteinander verbunden. Beides ist Teil meiner Identität.
Es wird jedoch oft davon ausgegangen, dass diese Dinge keinerlei Beziehung zueinander haben. Dadurch schaffen wir als Gesellschaft oft Ressourcen oder Zugangsmöglichkeiten, die nur selten die Bedürfnisse von Transgendern mit einer Behinderung decken. Ich möchte hier jetzt nicht wieder die Diskussion mit den Toiletten eröffnen, wir wissen ja mittlerweile dank gewissen Politikerinnen das diese Toiletten nur für Männer wären, die nicht wissen, ob sie noch stehend pinkeln dürfen, was auch sonst?
Wir müssen unsere Vorstellungen überdenken.
Behinderte Menschen machen ca. 15 Prozent der Weltbevölkerung aus, trotzdem ist das Thema Behinderung in den Bereichen Vielfalt, Mode und Schönheit ein absolutes Tabu und deswegen werden behinderte Menschen dabei einfach vernachlässigt. Das kann man übrigens auch ganz losgelöst von der Trans-Thematik betrachten.
Wir müssen an einen Punkt kommen, an dem wir unsere Vorstellungen von Geschlechtern und Körpern klar überdenken. Wir müssen unsere Idee, dass es nur Mann und Frau gibt, dass alle Körper gleich sind und das es nur einen Weg gibt, die eigenen seelischen und körperlichen Bedürfnisse zu erfüllen, über Bord werfen. Wir müssen Raum für Nichtkonformität, für Körper mit vielen Identitäten und vielen Bedürfnissen schaffen. Dies müssen wir in Einrichtungen aller Art und im öffentlichen Raum tun, aber auch im Bewusstsein der Gesellschaft. Es reicht nicht aus, Raum für Trans-Personen ODER Behinderte ODER Farbige ODER ODER ODER zu schaffen. Diese Art des Denkens trennt Identitäten, die untrennbar sind.
Sind wir als Gesellschaft wirklich an sozialer Gerechtigkeit interessiert, müssen wir diese Art zu denken hinter uns lassen. Denn Behindertengerechtigkeit ist LGBTIQ-Gerechtigkeit ist Rassengerechtigkeit ist Gesundheitsgerechtigkeit und so weiter. Wir müssen uns kollektiv damit auseinandersetzen, andernfalls werden wir den Menschen niemals gerecht werden können.
Schlußwort.
Zugegebenermaßen ist das Schreiben dieses Beitrags für mich in mehrfacher Hinsicht äußerst ungewöhnlich gewesen. Einerseits ist dieser Text an manchen Stellen sicherlich auch sehr politisch und das, obwohl ich Politik hier eigentlich immer vermeiden wollte. Ich glaube allerdings, dass man derartige Themen kaum unpolitisch verarbeiten kann, zumindest nicht in unserer jetzigen gesellschaftlichen Situation. Andererseits ist es für mich wie oben bereits erwähnt eine Art Outing, es hat mir allerdings unerwartet gut getan, diese Zeilen zu verfassen. Ich würde es sogar als befreiend bezeichnen.
Lieber Chris,
ich möchte gerne noch meine ganz besonderen Erfahrungen hinzufügen.
Ich bin Mutter eines Kindes mit einer geistigen Behinderung. All diese theoretischen Begrifflichkeiten sind für es schwer zu verstehen. Trotzdem weiß es genau, was es empfindet, zu wem es sich hingezogen fühlt, und dass es seinen Körper gerne anders hätte, als er ist.
Immer wieder suche ich nach ähnlich Betroffenen, auch um für mich herauszufinden, wie ich meinem Kind helfen kann. Ich finde viele sehr engagierte Menschen mit Behinderungen, die sich mit dem Thema unterschiedlicher Sexualitäten auseinandersetzen und die sich vor allem einsetzen! Ich freue mich darüber!
Aber nie finde ich etwas über geistige Behinderungen, Vielleicht liegt das in der Natur der Sache, weil viele geistig behinderte Menschen nicht so gut darin sind, sich auf die übliche Weise mitzuteilen. Oder weil sie gar nicht verstehen, dass das, was sie sind und fühlen, in eine Schublade mit einem bestimmten Begriff gepackt werden soll.
Ich würde gerne andere Menschen kennenlernen, deren Kinder oder Freunde oder Angehörige auch eine geistige Behinderung haben und sich einen anderen Körper wünschen.
Es kann doch einfach nicht sein, dass mein Kind allein in der Welt ist, geistig behindert und im falschen Körper zu sein.
Hallo Carmen,
ich denke nicht dass dein Kind allein ist. Es gibt mit Sicherheit noch andere Menschen in ähnlichen Situationen. Es ist nur schwierig diese Menschen zu finden, einige Gründe hast du ja bereits genannt. Ich möchte mir aber nicht anmaßen für Menschen mit geistiger Behinderung zu sprechen, denn dies wäre übergriffig. Andere Inkluencer mit körperlichen Behinderungen denken diesbezüglich sicher ähnlich.
Vielleicht habe ich in diesem Beitrag wenigstens ein paar Aspekte getroffen, die man als Mensch mit einer geistigen Behinderung oder als Angehörige*r irgendwie auf sich und die eigene Situation umlegen kann. Wir können auch gerne gemeinsam versuchen, andere Menschen in dieser Situation zu finden. Wenn du das möchtest, schreib mir doch über Social-Media oder eine Email.
Liebe Grüße
Hallo Chris 🙂
Ich muss sagen, ich bin mehr als bloß erfreut deinen Beitrag hier gefunden zu haben. 😀
Ich habe im Internet nach informationen über Transgender bei menschen mit Behinderung gesucht- erst ohne Erfolg. Und dann sah ich deinen Beitrag.. Erstmal: respekt für deine Worte und dein Outing in der Öffentlichkeit. Du hast das alles echt gut geschrieben und ich bin froh, dass du dieses Thema angesprochen hast.
Und so zum zweiten Punkt: warum ich überhaupt gegooglet habe:
Ich habe mir diese Frage gestellt: was ist mit menschen mit Behinderung, die sich allerdings nicht mit dem zugewiesenen Geschlecht identifizieren können?
Ich würde darüber in diesem Semester (ich studiere Heilpädagogik) gerne eine Arbeit verfassen- also einen Bericht. Da ich es gut fände, wenn mehr Menschen sich wenigstens mal Gedanken darüber machen.
Ich bräuchte dafür allerdings Interviews und habe mich gefragt wer mir Ausskunft geben könnte. Es ist schwer „Betroffene“ zu finden.
Daher wollte ich dich einfach Mal fragen, ob du Interesse daran hättest 🙂
Liebe Grüsse, May
Und ich hoffe, meine Anfrage kam jetzt nicht unhöflich oder zu seltsam rüber
Hallo May,
schön dass dir der Beitrag gefällt und deine Anfrage klingt nicht seltsam, keine Sorge.
Für deine Arbeit hast du dir tatsächlich ein sehr spezielles Thema ausgesucht. Ich finde das großartig und würde dir einerseits gerne bei der Suche helfen und andererseits stehe ich dir dafür auch gerne zur Verfügung.
Ich schicke dir eine Mail an deine Gmail-Adresse.
Liebe Grüße
Chris
[…] weiterer und für mich vollkommen überraschender Erfolg war der Beitrag “Handicap-Love – Lasst uns doch mal über Transgender mit einer Behinderung sprechen.” den ich anfang August veröffentlicht habe. Ich hatte diesen Beitrag verfasst weil mir dieses […]
Hey Chris,
ein Begriff, der beim Thema Trans* und Behinderung unglaublich hilft, ist „Intersektionalität“ – die Überschneidung von Diskriminierungsformen. Geboren aus der Mehrfachdiskriminierung von Schwarzen Frauen bei General Motors: Schwarze (Männer!) standen am Fließband, (weiße!) Frauen waren Sekretärinnen. Für Schwarze Frauen waren beide Wege versperrt.
Aus dieser Situation heraus prägte Kimberlé Crenshaw den Begriff „Intersektionalität“.
Aber wie du schon sagst:
„Wir müssen an einen Punkt kommen, an dem wir unsere Vorstellungen von Geschlechtern und Körpern klar überdenken. Wir müssen unsere Idee, dass es nur Mann und Frau gibt, dass alle Körper gleich sind und das es nur einen Weg gibt, die eigenen seelischen und körperlichen Bedürfnisse zu erfüllen, über Bord werfen. Wir müssen Raum für Nichtkonformität, für Körper mit vielen Identitäten und vielen Bedürfnissen schaffen. Dies müssen wir in Einrichtungen aller Art und im öffentlichen Raum tun, aber auch im Bewusstsein der Gesellschaft. Es reicht nicht aus, Raum für Trans-Personen ODER Behinderte ODER Farbige ODER ODER ODER zu schaffen. Diese Art des Denkens trennt Identitäten, die untrennbar sind.“
Spannende Publikation zum 30. Geburtstag des Begriffs „Intersektionalität“:
https://www.boell.de/sites/default/files/crenshaw_-_reach_everyone_on_the_planet_de.pdf
lg! basti <3
An dieses Wort „Intersektionalität“ habe ich auch direkt denken müssen. 🙂
Mich freut es total, dass immer mehr Menschen sich über Themen Gedanken machen, die Jahrelang in den Hintergrund gedrängt wurden.
Grossartiger Beitrag! Hatte das garnicht auf dem Schirm. Bin auch Transfrau, 1 Jahr Hormone und auf dem Weg die Op zu beantragen. Ist ein schwerer Weg, kann mir sehr gut vorstellen das es Menschen mit Behinderung noch schwerer haben weil die Gesellschaft sagt:“Er/Sie ist ja behindert, und weiss bestimmt nicht was Er/Sie da sagt.
Hoffe das Du Deinen Weg gehen kannst ohne ständig auf ein Handycap reduziert zu werden.
LG Neve
Hallo Neve,
das wichtigste zuerst, ich wünsche dir ganz ganz viel Kraft und das die OP schnell bewilligt wird.
Ich werde meinen Weg gehen, ganz gleich was kommen mag und ich hoffe das du auch deinen Weg gehen wirst.
Liebe Grüße
Chris
Ich finde deinen Beitrag mal wieder grandios. Leider fehlt mir ein wenig der Einblick in die Gefühlswelt eines Transgenders.
Vielen Dank liebe Jasmin,
einen Eindruck von diesen Gefühlswelten zu bekommen ist für außenstehende Personen zugegebenermaßen auch keine einfache Sache. Zumal die Gefühle auch von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sind. Um einen gewissen Einblick zu bekommen müsste man sich auch eine schöne Zeit damit beschäftigen, denn dieses Spektrum ist sehr sehr vielfältig und bunt. Wichtig ist meiner Meinung nach, in erster Linie, dass man eine Sensibilität für dieses Thema schafft. Beim Thema Transgender im allgemeinen sind wir auf einem guten Weg, auch wenn dieser Weg noch lange und wahrscheinlich auch steinig ist. Transgender mit Handicaps werden aber wie gesagt gerne übersehen, diesen Punkt sollten wir meiner Meinung nach ändern.
Liebe Grüße
Chris