CSD München: Warum ich als trans Frau mit Behinderung den CSD boykottiere

Der CSD München ist von einer politischen Demonstration zur kommerzialisierten Party verkommen – ein persönliches Statement.
Es fällt mir nicht leicht, das zu schreiben. Der Christopher Street Day (CSD) war einst ein Symbol der Hoffnung, des Widerstands, der Sichtbarkeit. Als trans Frau mit einer sichtbaren Behinderung habe ich viele Jahre versucht, in dieser queeren Community einen Platz zu finden, mitzukämpfen, mitzufeiern, Teil zu sein. Doch spätestens beim CSD München 2024 ist mir klar geworden: Diese Veranstaltung steht nicht (mehr) für mich – und für viele andere, die an den Rändern dieser Community leben. Deshalb werde ich ihn künftig boykottieren.
Unser Ursprung war ein Aufstand
Eine Pride ist nicht einfach ein bunter Umzug. Sie ist das Erbe von Stonewall. 1969 in New York leisteten überwiegend Schwarze trans Frauen, Drag Queens, Sexarbeitende und queere Obdachlose Widerstand gegen Polizeigewalt und institutionelle Diskriminierung. Stonewall war kein Regenbogen-Selfie – es war ein wütender Aufstand gegen ein System, das queere Menschen kriminalisierte, entrechtete und misshandelte. Es war kein Festival, sondern eine Rebellion.
Diese Geschichte wird heute beim CSD München nicht mehr erzählt oder gelebt. Stattdessen wird sie scheinbar bewusst verdrängt. An ihrer Stelle stehen Werbestände von Banken, Parteien, Polizei und Bundeswehr. Es gibt Applaus für Parteien, Institutionen, Firmen und ein lautstarkes Fest, in dem queere mehrfach Marginalisierte – wie ich – kaum mehr vorkommen.
Eine Party für privilegierte Queers
Wer den CSD München besucht, sieht vor allem eines: Privilegierte, weiße, meist allo cis queere Menschen, die feiern. Menschen, für die queeres Leben nicht automatisch bedeutet, mehrfach diskriminiert zu sein. Menschen, die kaum Berührung mit queeren Geflüchteten, queeren BIPoC Aktivist*innen oder queeren Menschen mit Behinderung haben.
Für uns gibt es kaum Barrierefreiheit, kaum Raum, kaum Repräsentation. Unsere Geschichten sind unbequem, unsere Kämpfe komplex. Sie stören das Bild der „bunten Vielfalt“, die Sponsoren anlockt. Beim CSD München soll gefeiert werden – nicht gestört, kritisiert oder gar ernsthaft protestiert.
Pinkwashing und politische Feigheit
Die Veranstalter des CSD München lassen Konzernen, Behörden und Parteien maximalen Raum. Diese nutzen den CSD, um sich ein progressives Image zu geben – während sie gleichzeitig in ihrer alltäglichen Praxis queere Menschen weltweit im Stich lassen.
Wo ist die klare Haltung des CSD München zur Situation queerer Geflüchteter? Wo ist die laute Forderung nach Aufnahmeprogrammen für queere Geflüchtete? Wo ist die Solidarität mit palästinensischen Queers, die doppelt unterdrückt werden – von patriarchalen, queerfeindlichen Strukturen UND von imperialer Gewalt? Warum ist der CSD bei Kriegen, Abschiebungen, Polizeigewalt und transfeindlicher Gesetzgebung nicht die lauteste Stimme der Stadt?
Anstatt klare, laute Forderungen zu stellen, weicht der CSD politischen Konflikten aus – aus Angst, Sponsoren oder politische Stimmen zu verprellen. Diese Feigheit ist ein Verrat an der queeren Bewegung.
Alternative Wege: Slutwalks, Dyke Marches und radikale Prides
Es gibt Alternativen. Veranstaltungen wie den Slutwalk oder kleinere, basisnahe Prides zeigen, dass queerer Protest radikal, intersektional und solidarisch sein kann. Dort sind trans Personen, Menschen mit Behinderung, BIPoC, Geflüchtete, Sexarbeitende, neurodivergente Menschen willkommen. Dort geht es nicht um Party – sondern um Gerechtigkeit.
Diese Räume sind nicht perfekt, aber sie versuchen, der ursprünglichen Vision einer befreiten, solidarischen und kämpferischen Community näher zu kommen als ein CSD, der lieber mit der Polizei kooperiert als mit queeren Geflüchteten.
Fazit: Bringt die Prides zurück zu ihren Wurzeln
Ich boykottiere den CSD München nicht aus Trotz, sondern aus Liebe. Liebe zu einer queeren Bewegung, die sich selbst verloren hat. Liebe zu jenen, die an der Peripherie stehen, deren Stimmen erstickt werden im Lärm der queeren Mittelschicht. Und Liebe zu dem Gedanken, dass wir gemeinsam mehr sein können als ein Spektakel.
Prides waren einst Aufstände. Sie müssen es wieder werden.