Der Fall Lisa Poettinger: Der Staat gegen die Menschlichkeit

Lisa Poettinger zeigt Zivilcourage gegen ein antisemitisches und queerfeindliches Plakat der AfD. Die zuständige Staatsanwaltschaft erhebt Strafanzeige ohne Strafantrag. Der folgende Prozess wird zur Farce.
Am 13.03.2025 um 9 Uhr begann der Prozess gegen Lisa Poettinger im Sitzungssaal A 117 des Münchner Amtsgerichts. Es ist ein relativ kleiner Saal in dem riesigen Gebäude in der Nymphenburger Straße, doch der Saal ist bis zum Bersten gefüllt. Die meisten Menschen, die sich im Raum für Zuschauende aufhalten, sind gekommen, um Lisa zu unterstützen.
Unter den Menschen, die vor Gericht Aussagen dürfen, sieht die Lage anders aus. Lediglich Daniela Huber von der LAG Queer der Linken wird für Lisa aussagen. Die Zeugen der Anklage waren zwei ermittelnde Staatsbeamte.
Als der zuständige Richter den Prozess eröffnet, beginnt ein Zeugnis eines staatlichen Versagens, das an Absurdität für lange Zeit seinesgleichen suchen wird.
Drei Euro gegen Menschenrechte.
Was war eigentlich passiert? Am 13.06.2023 fand in der Stadtbibliothek am Rosenkavalierplatz eine Lesestunde für Kinder statt. Die Vorlesenden waren Drag Kunstschaffende, die als Prinz und Prinzessin verkleidet auftraten. Eigentlich ist nichts daran der Rede wert.
Doch für die AfD ist es ein Grund, tief in die verstaubte Trickkiste der NS-Zeit zu greifen und mit einer durchweg antisemitischen Bildsprache gegen Drag Kunstschaffende, trans* und nicht binäre Menschen zu hetzen.
Die Partei ruft mit Plakaten zur Demonstration gegen die Lesung auf. Sie deutet direkt den Kindesmissbrauch durch Drag Kunstschaffende, trans* und nicht binäre Menschen an.
Am Vortag der Demonstration beschädigte Lisa Poettinger drei dieser Plakate. Der angerichtete Schaden beträgt laut Staatsanwaltschaft nur drei Euro. Die AfD verzichtete zu diesem Zeitpunkt auf das Nachplakatieren und auch ein Strafantrag wurde zu keinem Zeitpunkt gestellt. Letzteres bestätigte der zuständige Richter heute in seiner Urteilsbegründung. Trotzdem erhob die Staatsanwaltschaft Anklage und begründete dieses Vorgehen mit öffentlichem Interesse.
Vertraue nicht auf Staat und Polizeiapparat.
Während die Staatsanwaltschaft die Anklage auf den Vorwurf der Selbstjustiz aufbaute, berufte sich die Verteidigung darauf, dass Lisa durch die Sachbeschädigung, die sie zu keinem Zeitpunkt geleugnet hat, eine Gefahr von der queeren Community abwenden wollte.
Hierfür führte die Verteidigung die explodierenden Zahlen bezüglich der bekannten Fälle von Gewalt gegen queere Menschen an. Auch die Zeugin Daniela Huber bestätigte in ihrer Aussage eindrucksvoll die bedrückende gesellschaftliche Atmosphäre und die wachsende reale Gefahr für queere Menschen, die von der AfD durch dieses Plakat geschaffen wurde.
Der offensichtliche Antisemitismus der Darstellung auf den Plakaten, wurde ebenfalls mehrfach thematisiert. Doch für die Strafverfolgungsbehörden der Stadt München und des Freistaates Bayern scheint es bis zum heutigen Tag so zu sein, dass diese Plakate eine reine Meinungsäußerung darstellen. Denn es gab durchaus verschiedene Anzeigen gegen diese Plakate, doch die zuständigen Behörden lehnten jede Verfolgung ab.
Die “Meinungsäußerung” auf den Plakaten sei vielleicht für manche Menschen schwer erträglich, aber im juristischen Rahmen legitim. So sagte es der Staatsanwalt heute sinngemäß in seinem Plädoyer, nachdem er eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen, wie es der zuständige Richter zuvor zwei Mal vorgeschlagen hatte, abgelehnt hatte.
Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.
Am Ende des Prozesses steht eine Verurteilung zu einer Geldstrafe, die der Richter deutlich tiefer ansetzte, als die Staatsanwaltschaft es gefordert hatte. Betrachtet man rein die juristische Perspektive, hat das Gericht ein mildes Urteil gefällt.
Doch wenn man über den rechtlichen Rahmen hinaus blickt, hat der Rechtsstaat heute, in diesem kleinen Gerichtssaal und wegen einem Sachschaden von drei Euro, einen irreparablen Schaden erlitten.
Die Justiz der Stadt München hat mit diesem Urteil eine Zielscheibe auf die Stirn der queeren Community in dieser Stadt gepresst. Man hat Antisemitismus juristisch legitimiert, sobald er sich gegen queere Menschen richtet.
Davon abgesehen muss sich die Staatsanwaltschaft die Frage gefallen lassen, ob sie hier nicht eigentlich einen politischen Prozess geführt hat. Wären wir alle wirklich in diesem Gerichtssaal gewesen, wenn Lisa Poettinger nicht Lisa Poettinger wäre? Wäre dieser Prozess wirklich zustande gekommen, wenn man nicht versuchen würde, die Lehramtsstudentin wegen ihres gesellschaftlichen Engagements mit einem Berufsverbot zu belegen? Ich wage es zu bezweifeln.
Auf die Frage des Staatsanwalts, ob Lisa es nochmal tun würde, antwortete sie sinngemäß, dass sie sich wünschen würde, dass die Stadt zukünftig queere Menschen von solchen Attacken schützt und es deshalb nicht mehr zu solchen Handlungen kommen wird.
Diesen Wunsch haben Polizei, Verfassungsschutz, die Staatsanwaltschaft und auch das Gericht heute offiziell beerdigt. Denn keine Behörde hat es zu irgendeinem Zeitpunkt, weder vor der Tat, noch während den Ermittlungen oder während des Prozesses geschafft oder auch nur den Willen gezeigt, die Diskriminierungen gegen marginalisierte Menschen anzuerkennen oder zu benennen.
Lisa hat Zivilcourage gezeigt und versucht, eine Community zu beschützen, die seit Jahren immer mehr unter Beschuss gerät. Der Rechtsstaat hingegen hat an diesem Tag erneut gezeigt, dass sich marginalisierte Menschen nach wie vor nicht auf seine Hilfe verlassen können. Drei Euro und ein Prozess gegen eine der bekanntesten Aktivistinnen der Stadt sind für die Behörden wichtiger, als der Schutz und die Menschenwürde von unzähligen queeren Menschen.
Am Ende bleibt mir nur zu sagen: Danke Lisa, für alles!