Besonders Verliebt: Inklusion oder Klischee?

Eine behinderte Frau im Rollstuhl und ihr Freund sind offensichtlich "besonders verliebt und halten Händchen.

Am 12.10.21 lief auf VOX die erste Folge der Datingshow “Besonders Verliebt”. Ist es wirklich eine inklusive Datingshow oder kann das weg?

“Besonders Verliebt” so lautet also der Name des neuen Dating-Formats des Senders VOX. Die Sendung möchte behinderten Menschen bei der Suche nach ihrem ganz großen Glück helfen. So lautet zunächst die grundlegende Idee, es ist eine Idee die ich grundsätzlich unterstütze und lobenswert finde, wenn sie im Sinne der Inklusion umgesetzt wird. Ich muss allerdings zugeben, dass ich von Beginn an Zweifel hatte, ob eine Sendung eines Privatsenders der richtige Platz für eine solche Idee ist. Immerhin herrschen in allen anderen Datingshows Klischees, Quotengier und ein wirklich verachtenswerter Umgang mit den Teilnehmer:innen. Man denke nur an Jan Böhmermann und “Schwiegertochter gesucht” #Verafake. Etwas derartiges möchte ich grundsätzlich nicht sehen und schon gar nicht in diesem Zusammenhang.

Aber man muss ja immer fair bleiben. Deshalb verdient auch “Besonders Verliebt” eine ganz neutrale Betrachtung, vielleicht überrascht der Sender ja auch mit einem inklusiven Meisterwerk. Zur fairen Betrachtung gehört es aber auch, zu erwähnen, dass das Format keine komplett eigene Idee von VOX oder der zuständigen Produktionsfirma ist. Die Inspiration für “Besonders verliebt” kommt aus Großbritannien, auf Channel 4 können Zuschauer:innen die Sendung “The Undateables” sehen. Diese Sendung läuft dort bereits seit 11 Staffeln. Man kann also davon ausgehen, dass man hier, aus Sicht der verantwortlichen Personen, von einem Erfolg sprechen kann.

Meine persönliche Meinung zum britischen Original ist nicht besonders positiv, nur so als kleine Randnotiz. Daher war ich sehr gespannt, ob “Besonders verliebt” es besser macht oder ob die Sendung ebenso unwatchable ist.

Wirklich sympathische Teilnehmer:innen.

Ich möchte mit dem Punkt beginnen, der mir wirklich positiv in Erinnerung geblieben ist, nämlich die Teilnehmer:innen. In der ersten Folge sehen wir Samira (22), Igor (27), Miriam (34) und Tobias (24), alle wünschen sich natürlich eine Beziehung und geben an, dass sie entweder noch nie ein Date hatten oder dass das letzte Date schon recht lange zurückliegt. 

Diese 4 jungen Menschen sind von Anfang an sehr sympathisch. Sie wirken von außen betrachtet wie gefestigte Persönlichkeiten, die aktiv sind und anscheinend mitten im Leben stehen. Alle haben eine relativ konkrete Vorstellung von den Eigenschaften die ihr Date mitbringen sollte. Miriam wünscht sich zum Beispiel einen “Sunnyboy”, sie entscheidet sich aber letztlich doch dafür, lieber andere wichtige Eigenschaften in ihr Datingprofil zu schreiben.

Es sind diese persönlichen Momente, die völlig auf die Vier ausgerichtet sind, in denen ihr Charakter im Vordergrund steht, die einen inklusiven Grundgedanken ausstrahlen. Momente die auch den letzten von Vorurteilen behafteten Zuschauer:innen klar machen müssten, dass hier einfach vier junge Menschen zu sehen sind, keine vier bemitleidenswerten Gestalten. Leider bleiben diese Momente sehr selten.

Der falsche Fokus.

Abseits dieser wenigen Momente fällt gerade zu Beginn der Porträts auf, dass die jeweiligen Behinderungen der Teilnehmer:innen stark im Vordergrund stehen. Die Diagnosen werden Zuschauer:innen natürlich direkt mitgeliefert, weil das für das Dating natürlich auch ganz wichtig ist. Also eigentlich nicht, aber egal, zumindest kann man die Diagnose dann im Internet suchen und dann entweder schockiert oder mitleidig reagieren, einen anderen Sinn kann es im Kontext der Sendung eigentlich nicht haben. Anstatt sich auf den Alltag der Menschen zu konzentrieren und zu zeigen, wie “normal” (wie ich dieses Wort verabscheue) so ein Alltag mit einer Behinderung eigentlich ist, zeigt die Sendung lieber, was nicht so “normal” funktioniert. Es wird wirklich keine einzige Situation gezeigt, in der keine Verbindung zu den jeweiligen Behinderungen gezogen wird.

Besonders gruselig wird es immer dann, wenn die Familien mit im Spiel sind. Hier schenkt uns der Sender teilweise Momente aus der Hölle. Hier fällt direkt auf, dass sehr viel über die Teilnehmer:innen gesprochen wird, selbst dann wenn sie sich im selben Raum befinden und gut für sich selbst sprechen könnten. Die völlig bezugslose Reproduktion des Sorgenkind-Klischees ist an der Stelle fast schon geschenkt, weil erwartbar.

Die Art und Weise wie die Familien mit eingebunden wurden ist aber allgemein fragwürdig. Jeder dieser Augenblicke stützt die Annahme, dass Menschen mit einer Behinderung grundsätzlich und immer hilfsbedürftig und völlig unselbständig sind. Ich meine, welcher Mensch der abled-bodied ist, würde sich nicht darüber freuen, wenn die eigene Familie über das Flirt-Verhalten spricht, Ermahnungen an das Anspruchsdenken austeilt oder erklärt was das Kind nicht so gut kann. Das klingt für keinen Menschen auf der Welt irgendwie erstrebenswert, da bin ich mir sicher. Bei Menschen mit einer Behinderung wird das aber einfach als gegeben hingenommen.

Ein sehr eigenes Bild von Inklusion.

Der Sender besitzt offenbar ein sehr eigenes Bild von Inklusion. Um das zu belegen genügt eigentlich schon ein einziger Blick auf die Website zur Sendung. Dort lesen wir zum Beispiel so schöne Formulierungen wie:

“[…] In dem neuen VOX-Dating-Format „Besonders verliebt“ stehen ganz besondere Singles und ihre Reise zum Liebesglück im Zentrum[…]”

Auf der Seite von Tobias findet sich zum Beispiel folgender Satz:

“Tobias leidet am Carpenter-Syndrom”

Also Tobias leidet laut VOX unter seiner Behinderung und behinderte Menschen sind natürlich ganz besonders, deswegen sind sie wahrscheinlich auch “Besonders verliebt”. Ja, ein Wortwitz, lustig oder? Weil die besonderen Menschen sind natürlich auch besonders (!) verliebt. Immer noch nicht lustig oder cool? Das könnte vielleicht daran liegen, dass es an solchen Darstellungen nichts cooles, lustiges oder gar niedliches gibt. Es ist einfach nur Othering und bösartiges Framing. 

Dieses wirklich sehr exklusive Verständnis von Inklusion zieht sich auch durch die Sendung, so findet das komplette Matching über die Datingseite Handicap-Love statt. Handicap-Love ist eine Datingseite extra für behinderte Menschen, es ist letztlich nichts anderes als eine weitere Sonderwelt. Das ist vergleichsweise so, als würde ich eine Sendung über inklusive Bildung machen und dann mit Förderschulen kooperieren.

André ist einer der vier Expert:innen, die den Teilnehmer:innen bei der Suche helfen sollen, er sagt, dass er für behinderte Menschen die „Chancen erhöhen möchte, gesehen zu werden“. Eine weitere Expertin und Sexualpädagogin sagt , dass der „Pool an Auswahl für Menschen mit Beeinträchtigung deutlich kleiner“ sei.

Das muss man sich jetzt mal auf der Zunge zergehen lassen. Zuerst stellt man diese vier sympathischen jungen Menschen möglichst klischeehaft dar, dazu das Othering und Framing im Web, und dann kooperiert man mit einer Datingseite, die eine absolute Sonderwelt im Bereich des Onlinedatings darstellt. Zu allem Überfluss holt man sich dann noch “Expert:innen” die solche Sätze von sich geben. 

Die einzige Expertin, die ihren Platz in dieser Show verdient, ist Patrizia Kubanek. Sie Vereint die Perspektive von behinderten Menschen mit der nötigen Kompetenz und es gibt nachweislich nicht besseres als Peer-Beratung. Für die Auswahl von Patrizia kann man nur ein Lob aussprechen, alle anderen sind völlige Fehlbesetzungen.

Empowerment funktioniert anders.

Ein weiterer wirklich erschreckender Punkt für mich war, dass ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hatte, dass Samira, Igor, Miriam und Tobias eine freie Wahl gehabt hätten. Es wurde eher so dargestellt, als würde ihnen passende Menschen vermittelt, nachdem im Vorfeld bereits aussortiert wurde, es erforderte einfach keine wirkliche aktive Beteiligung.

Hier liegt wiederum ein Problem der Sendung. Dating erfordert immer ein gewisses Maß an eigener Aktion. Beim Onlinedating beginnt das bei der Profilerstellung, dann betrachtet man andere Profile, beginnt gegebenenfalls eine Unterhaltung und trifft sich vielleicht irgendwann. Diesen ganzen Prozess hat man letztlich eliminiert, er ist nicht mehr vorhanden.

Es kommt ein Anruf, das Match wird ihnen eigentlich vorgelegt und dann gibt es ein Date. Lediglich die Profilerstellung bleibt als aktiver Teil vorhanden. Das Date grenzt dann schon fast an ein Blind-Date, weil es keine Möglichkeit gibt sich im Vorfeld auszutauschen.

Empowerment und Inklusion wäre es, diesen Prozess eben nicht zu beschneiden, sondern ihn mitzugehen. Den Weg zum Date über eine andere Datingplattform, eine mit einem breiterem Publikum, zu unterstützen. Zu helfen, wenn jemand nicht weiß welcher Text in ein Profil sollte. Allerdings nicht in dem man den Text von einer anderen Person schreiben lässt, sondern durch gemeinsames Nachdenken. Bilder gemeinsam auszusuchen, oder gegebenenfalls auch neue Bilder zu machen, ohne die Persönlichkeit falsch darzustellen. Das wäre Empowerment. Das wäre Inklusion.

Mein Fazit.

VOX liefert mit “Besonders verliebt” leider genau das ab, was man im Vorfeld erwarten konnte. Es ist eine Sendung die keine Barrieren oder Vorurteile abbaut, aber ausgezeichnet den Voyeurismus der Zuschauer:innen bedient. Anstatt die Inklusion und ein gemeinsames Miteinander zu fördern, trifft man hier fast jedes denkbare Klischee und fördert damit Exklusion.

Wenn man mich fragen würde, wie ich eine Datingshow inklusiv gestalten würde, würde ich wahrscheinlich sagen, schaut euch “Besonders verliebt” an, nehmt die wenigen positiven Dinge mit und macht bei allem anderen einfach genau das Gegenteil.

Foto by GoodLifeStudio @istockphoto.com.

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