Bondage – Die Liebe zur (Un)Freiheit durch das Seil.

Deva beugt sich ein letztes Mal über mich und überprüft das Ergebnis ihrer Bondage. Ein Netz aus mehren Seilen zieht sich über meinen Körper und lässt mich bewegungsunfähig und offen zurück.

Bondage ist eine der vielfältigsten Spielarten die es gibt, vielleicht sogar die vielfältigste. Denn Bondage ist, was ihr daraus macht. Eine Behinderung ist dabei kein Hindernis.

Wenn ich mit anderen Menschen über Sex spreche, kommt früher oder später, in der Regel früher, meine Vorliebe für Bondage zur Sprache. Es ist eine Vorliebe, die oft für Stirnrunzeln und sichtbare Fragezeichen über den Köpfen der anderen Menschen sorgt. Dann heißt es oft “Du und Bondage?” worauf ziemlich schnell ein irritiertes “Warum?” folgt. Früher haben mich diese Reaktionen oft selbst irritiert, heute finde ich sie eher amüsant.

Auf die Frage nach dem Warum, ist die sinnvollste Antwort auch die unspektakulärste, sie lautet “Warum nicht?”. Ja, Fragen mit Gegenfragen zu beantworten ist kein wirklich guter Stil, ich gebe es gerne zu. Doch die Gegenfrage hilft in diesem Fall, denn sie deckt auf, wo in den Augen der anderen Menschen ein Widerspruch bzw. ein Problem liegt.

Bemerkenswert ist dabei, wie häufig die folgende Annahmen zugrunde liegt: Dich muss man nicht fesseln, du kommst ja nicht weg. Der Gedanke dahinter beruht natürlich auf einer drastischen Fehleinschätzung. Bondage kann nämlich durchaus mehr sein als das bloße Anbinden von willenlosen Subs zur eigenen Befriedigung, es ist vielseitig und hat ganz verschiedene Formen. Im Fesseln liegt eine Freiheit, für beide Seiten, so paradox es auch klingt. Es kann Neigungen offenbaren, zur Selbstfindung beitragen, das Selbstbild und die eigene Akzeptanz stärken, Blockaden lösen, entspannen und auch das eingefahrene Sexleben wieder etwas auffrischen. Davon abgesehen kann es auch nur praktisch sein, auch wenn die Liebhaber:innen dieser Spielart das oft nicht so gerne hören.

Fangen wir, für die Leser:innen, die sich noch nicht so mit dem Thema beschäftigt haben, am besten mit einer kleinen Erklärung an. Ich werde mich hier übrigens rein auf Bondage mit Seilen beziehen, Handschellen, Folien, Andreaskreuze und andere Materialien haben alle ihren gerechtfertigten Platz im BDSM, doch hier würde das einfach zu weit führen.

Was ist Bondage eigentlich?

Bondage bezeichnet in der BDSM-Szene Praktiken zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit, beispielsweise durch das Fesseln mit Seilen. Das Wort stammt aus dem Englischen und bedeutet unter anderem Unfreiheit oder Knechtschaft. Das B in BDSM steht übrigens für Bondage, große Überraschung, ich weiß.

Bondage kann in allen Bereichen des BDSM eine Rolle spielen, es ist allerdings auch so vielfältig, dass es komplett für sich alleine stehen kann. Man kann Bondage ganz grob in vier Arten einteilen:

  • Zweckbondage: Hier geht es schlicht und ergreifend darum, dass der oder die jeweilige Sub bewegungsunfähig gemacht wird, um für den Rest einer Session in der passenden Stellung zu bleiben. Das muss nicht schön aussehen oder besonders kreativ sein, es muss nur zweckmäßig sein, daher Zweckbondage.
  • Zierbondage: Zierbondage nutzt man für Bilder, Videos, Shows oder Fetischpartys. Hier steht die Ästhetik absolut im Vordergrund. Dadurch kann man wirklich wunderschöne Kunstwerke erschaffen, wie ihr zum Beispiel hier, in der Galerie von Hikari Kesho, sehen könnt. Man kann aber auch ganz gezielt einzelne Körperteile hervorheben. Shibari, eine asiatische Fesselform, die Immobilisation und Ästhetik vereint, würde ich auch zu dieser Kategorie zuordnen.
  • Folterbondage: Ich denke, der Name sagt schon alles. Folterbondage soll den oder die Sub in eine schmerzhafte, oder zumindest möglichst unangenehme, Position bringen und dort halten. Entweder als eigenständiger Teil einer Session oder auch gerne als Strafe. Übrigens, irgendwann wird jede Form von Bondage zur Folter, es muss nur ausreichend Zeit vergehen.
  • Meditatives Bondage: Hier steht eher der geistige Zustand der Sub im Vordergrund, was auch im Shibari ein wichtiger Ansatz ist. In den meisten Sessions spielt das Meditative aber keine große Rolle, deswegen sieht man diese Form nicht so häufig. Bei Tantriker:innen scheint sie aber recht beliebt.

So, habt ihr einen ganz groben Überblick über die verschiedenen Formen. Allerdings braucht ihr jetzt noch etwas Grundwissen über den wichtigsten Bestandteil, also die Seile.

Welches Seil ist das richtige?

Die Wahl der Seile spielt natürlich eine große Rolle. Hier unterscheidet man nach Material und Dicke. Ganz grundsätzlich sind dickere Seile etwas besser für Neulinge geeignet. Dickere Seile sorgen dafür, dass sich Knoten nicht so stark zusammenziehen, ihr könnt sie also besser und schneller lösen.

Wenn Bondage noch Neuland für euch ist, nehmt ihr am besten Kunstfaserseile. Die alten Hasen unter meinen Leser:innen werden jetzt wahrscheinlich leicht grinsen, aber jeder fängt mal klein an. Kunstfaserseile aus Nylon oder Polyester sind hautfreundlich, sie erhitzen nicht beim Durchziehen, weshalb es keine Verbrennungen gibt, Quetschungen gibt es auch nicht und sie haben eine sehr gute Zugkraft. Kunstfaserseile müssen auch nicht nachbehandelt oder gewaschen werden. 

Baumwollseile sind gute Allrounder. Sie schmiegen sich schön eng an den Körper, sind angenehm auf der Haut und haben natürlich auch eine hohe Zugkraft. Sie müssen ebenfalls nicht nachbehandelt werden. Allerdings sind Baumwollseile wahre Magneten für Staub und Schmutz, ihr solltet sie daher regelmäßig waschen. Auf den Bildern seht ihr übrigens auch Baumwollseile.

Hanfseile bieten sich an, wenn man sich schon ein bisschen länger mit Bondage beschäftigt und Erfahrung sammeln konnte. Der Umgang mit Hanfseilen ist etwas komplizierter als der Umgang mit Baumwoll,- oder Kunstfaserseilen. Seile aus Hanf sind zunächst rau und kratzig, sie müssen präpariert und gepflegt werden. Dafür bieten sich Öle an. Welches Öl ihr nehmt bleibt eigentlich euch überlassen, Jojobaöl, Bienenwachs, Kamelienöl, Babyöl, Sattel- bzw. Lederöl, all das funktioniert, nur bitte kein Speiseöl. Ihr könnt euer Hanfseil auch waschen oder kochen, falls es nötig werden sollte. Wenn euch der Aufwand nicht abschreckt, bekommt ihr ein Seil mit ausgezeichneter Zugfestigkeit und Stabilität, welches sich durch seine geringe Dehnbarkeit besonders gut für Hängebondage eignet. Im Shibari benutzt man übrigens auch überwiegend Hanfseile.

Zum Abschluss der kleinen Seilkunde kommen wir noch zum Juteseil. Juteseile solltet ihr euch anschaffen, wenn ihr bei der Erwähnung des Wortes Bondage Herzchen in den Augen bekommt. Sie sind sehr zugfest und stabil, fühlen sich toll an und sind ausgesprochen eng anliegend. Allerdings sind sie auch relativ teuer, weshalb ihr die Investition nur machen solltet, wenn ihr diese Spielart wirklich liebt.

Der Körper als Bühne unserer Gefühle.

Als ich vor einigen Monaten den LVSTPRINZIP-Podcast mit Theresa Lachner aufnahm, sprachen wir unter anderem auch über Bondage. Theresa sagte mir damals, dass sie, vor längerer Zeit, an einem Bondage Workshop teilgenommen hatte, auf den sie gar keine so große Lust hatte. Doch als sie durch die Fesselung in eine aufrechte Haltung gebracht wurde, fühlte sie, wie sich auch ihre innere Haltung grundlegend ins positive veränderte.

Diese Veränderung ist einer der spannendsten Aspekte dieser Spielart, denn die Empfindungen der Sub, hängen mit der ausgeführten Position zusammen. Theresa beschrieb ihre Position damals als “gerade”. Ihr Rigger, also die Person, die sie fesselte, gab ihr dadurch ein Gefühl von Stärke, sie fühlte sich offener und besser.

Wie kann das sein? Nun die Theorie ist eigentlich recht einfach. Unser Körper drückt unsere Gefühle aus, im Grunde ist es das, was wir als Körpersprache bezeichnen. Doch unser Körper bzw. unsere Körperhaltung erzeugt diese Gefühle auch. Man spricht hier auch von der Körper-Seele-Wechselwirkung.

Bondage kann auch einen Teil dazu beitragen. Wenn man den oder die Sub in eine bestimmte Haltung oder Lage bringt, kann man auch recht deutlich die Gefühlswelt des jeweiligen Menschen beeinflussen. 

Bondage an, Behinderung aus.

Ich werde jetzt nicht wieder mit dem Beispiel des Mannes mit einer Spastik, der sich davor fürchtet seine Freundin beim Sex zu verletzen und deshalb auf Bondage zurückgreift, anfangen. Wenn ihr das noch nicht kennt, könnt ihr es in meinem Beitrag “Über BDSM und Behinderung” nochmal lesen.

Es ist aber durchaus so, dass Bondage einen guten und wichtigen Beitrag für kranke und behinderte Menschen leisten kann. Bei Menschen mit Depressionen können gezielte Körperübungen die sonstige Therapie unterstützen. Jetzt ist Bondage natürlich keine Körperübung im klassischen Sinne, aber der Effekt ist ähnlich. Der Körper wird der Möglichkeit beraubt, in seine klassisch depressive Haltung zu fallen, stattdessen erlebt der Mensch ein anderes Körpergefühl und verspürt, wenn auch nur für eine kurze Zeit, vielleicht etwas anderes als Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit, Lustlosigkeit, Energielosigkeit oder Sinnlosigkeit. Dieser Aspekt lässt sich aber auch gut auf körperliche Behinderungen übertragen.

Bondage die am Körper anliegt, gibt einen gewissen gut dosierbaren Druck ab. Man kann, durch diesen physischen Druck, gewisse Stresssituationen beseitigen und mentalen Druck lindern. In gewissen Situationen kann man mentalen Druck sogar völlig beseitigen. Wie im Beispiel des Mannes mit einer Spastik. Außerdem fühlt sich Druck bzw. dieses enge Umschlingen der Seile, für viele Menschen einfach nur gut an. 

Streckbondage öffnet den Körper und zeichnet sich durch einen raumgreifenden Charakter aus. Außerdem vermittelt es ein starkes Gefühl des ausgeliefert seins. Die dadurch erreichte Streckung wird oft als angenehm empfunden, besonders wenn man den Großteil der Zeit sitzend verbringen muss. Man kann damit auch gewisse Körperstellen besser zugänglich machen, etwa wenn durch Kontrakturen oder eine Muskelschwäche das Einnehmen und/oder halten einer gewissen Position nicht ohne weiteres machbar ist.

Hängebondage ermöglicht einen guten Zugang zu Körperstellen, die man sitzend oder liegend weniger gut erreichen und bespielen kann. Doch nicht nur die bessere Erreichbarkeit ist ein interessanter Aspekt, sondern das Hängen an sich vermittelt ein Gefühl von Schwerelosigkeit. Natürlich lässt sich das nicht einfach so umsetzen, bei einigen Behinderungen ist es auch deutlich schwerer zu planen als bei anderen, so ehrlich sollte man sein. Außerdem sollte man sich definitiv gut auskennen und schon etwas länger mit Bondage beschäftigt haben, bevor man sich diese Form zutraut. Deckenlifter bieten sich hierfür übrigens durchaus an.

Bondage kann aber auch einen rein praktischen Zweck erfüllen. Beispielsweise, wenn ausschließlich ein bestimmter Körperteil im Weg ist. Hierfür braucht es dann keine große Seilkunst, nicht mal eine besondere Vorliebe, es genügt in dem Fall, den störenden Teil einfach zu fixieren, wo er nicht mehr stört.

Als ich letztens den “Heiß & Fetisch”-Podcast mit André und Jasmin aufnahm, sagte Jasmin “Bondage schaltet die Behinderung in meinem Kopf aus, wenn ich gefesselt bin, kann ich meinen Arm nicht bewegen, weil er gefesselt ist, nicht wegen meiner Behinderung.”. Ich kann dem aus eigener Erfahrung nur zustimmen. Bondage vermittelt Freiheit durch Unfreiheit. 

Bondage ist was ihr draus macht.

Was ich euch mit den beschriebenen vielfältigen Möglichkeiten aufzeigen wollte, ist, dass es DAS Bondage nicht gibt. Bondage ist, was ihr draus macht und was sich für euch eben richtig anfühlt. 

Es geht nicht nach dem Prinzip “höher weiter schneller”, lasst euch nicht auf irgendwelche Vergleiche ein. Wenn ihr diese Spielart gerade erst für euch entdeckt, fangt langsam an und steigert euch ganz allmählich auf euer Wunschniveau. Profitiert von der Erfahrung anderer Menschen, beispielsweise indem ihr Workshops besucht und habt kein schlechtes Gewissen, wenn ihr Fragen stellen müsst.

Achtet beim Spiel immer auf eure Sicherheit. Habt immer etwas in der Nähe, mit dem ihr ein Seil notfalls durchtrennen könnt und lernt eure Knoten so zu binden, dass sie einerseits sicher, aber andererseits leicht zu lösen sind. Als Sub solltet ihr euch auch nicht scheuen Feedback zu geben und als Dom solltet ihr dieses Feedback auch annehmen, besonders wenn ihr noch nicht so viel Erfahrung habt, oder nicht aufeinander eingespielt seid.

Außerdem hoffe ich, dass ich euch zeigen konnte, dass auch eine Behinderung kein Grund gegen Bondage ist. Die Frage ist nicht ob, sondern wie.

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