Slutwalk München 2024 – Von Selbstscham zur Fremdscham
Nachdem die Aufnahme auf dem diesjährigen Slutwalk München nichts geworden ist, haben das Orga-Team und ich beschlossen, die Rede nochmal aufzunehmen.
Wie der Titel vermuten lässt, geht es in der Rede um das Thema Scham. Unsere Gesellschaft ist ganz großartig darin, Menschen mit Scham zu belegen. Mir ging es lange Zeit so, dass ich mich deswegen für Dinge geschämt habe, für die nichts kann.
Heute schäme ich mich nicht mehr und ich rechtfertige mich auch nicht mehr für meine Existenz. Bis dahin war es allerdings ein sehr langer und schmerzhafter Weg der Reflexion. Wenn ich mich heute noch schäme, ist das höchstens noch Fremdscham.
Nochmal ein dickes Danke an das Orga-Team, für die Gelegenheit und dafür, dass ihr die Untertitel übernommen habt. Ich freue mich riesig darauf, euch spätestens nächstes Jahr wiederzusehen.
Sluts unite
Von Selbstscham zur Fremdscham
Liebe Zuhörende,
heute geht es um das Thema Scham. Ich weiß nicht so genau, wie es euch damit geht, aber ich finde Scham ist ein sehr vielseitiges Gefühl. Wir empfinden Scham durch innerseelische Vorgänge, beispielweise wegen Peinlichkeiten oder Verlegenheit, aber auch aufgrund von Bloßstellungen oder Beschämungen durch andere Menschen in Form von Demütigungen, Kränkungen oder Verletzungen.
Scham kann durch Bindungsverletzungen und Traumata entstehen und trägt oftmals tiefe Schuldgefühle in sich. Eine gute Entwicklung von Scham kann positiv sein, denn dadurch lernen wir gute Beziehungen zu führen und uns gut in Gemeinschaften bewegen zu können. Doch leider sind viele Formen dieses Gefühls toxisch. Toxische Scham hindert uns am Leben und darüber weiß ich leider sehr viel.
Als Kind und Jugendliche habe ich mich ständig geschämt. Ich schämte mich für meine Behinderung und für meinen Körper. Andauernd erzählten mir Menschen, was ich alles nicht kann. Ich könnte keine Arbeit finden, kein soziales Netzwerk außerhalb von Einrichtungen haben, keine Beziehung führen, keine Sexualität haben und selbst wenn ich letzteres doch können sollte, würde mich ohnehin kein Mensch wollen.
Wenn man diese Dinge als junger Mensch fast täglich hört oder anderweitig vermittelt bekommt, glaubt man sie irgendwann, insbesondere wenn man auch noch innere Kämpfe mit dem eigenen Geschlecht führt. Ich schämte mich so sehr, für mich selbst und mein Leben, dass ich mir mehr als einmal wünschte, dass sich der Boden öffnet und mich einfach verschluckt.
Irgendwann begann ich damit, Teile meiner queeren Identität zu leben. Versteckt vor den meisten Menschen. Da war dieses Gefühl, sich dafür zu schämen, zu sein, wie man ist. Selbst wenn man die eigene queere Identität eigentlich offen lebt, kann es dazu kommen, dass man dieses Schamgefühl manchmal spürt.
Lange Zeit ging es mir so, dass ich mich mit dem Gedanken beschäftige, dass ich eigentlich lieber ein Teil der Mehrheitsgesellschaft wäre. Dann wäre ich ja „normal“, im Sinne von „Teil der Norm“, und bräuchte mich nicht zu erklären oder mich für mich selbst zu schämen.
Ein paar Jahre später hatte ich die Scham bezüglich meiner Sexualität zumindest oberflächlich überwunden. Was nach außen wie ein großer Schritt wirkt, war in Wirklichkeit eine absurde Mischung aus Sturheit und Selbsthass.
Bei einem dieser Dates, die ich nur hatte, um mir meine Fuckability zu beweisen und mich etwas weniger behindert zu fühlen, kam es zu sexueller Gewalt. Als mich einer meiner Freunde von dem Date nach Hause fuhr, fragte er mich: „Wie war es?” und ich lächelte und sagte “Gut”. Ich log, wegen einer Tat, für die ich nichts konnte, aus Scham und Angst.
Ich hatte Angst davor, was passiert, wenn ich darüber rede. Wer würde mir schon glauben? Sind wir ehrlich, den Überlebenden wird so gut wie nie geglaubt. Stattdessen zeigen wir mit dem Finger auf sie, reden irgendeinen Unsinn von Unschuldsvermutung und treiben diese Menschen durch jede erdenkliche Hölle. Ich wollte das nicht. Ich hätte es nicht ertragen.
Wiederum ein paar Jahre später, hatte ich mich als Aktivistin für Inklusion zumindest etwas etabliert. Mein Aushängeschild wurde mein positiver und stellenweise sehr freizügiger Umgang mit meinem Körper und meiner Sexualität.
Es ist ein sehr positives Aushängeschild, aber auch eines, das provoziert. Früher haben mir Menschen abgesprochen, ein sexuelles Wesen oder irgendwie begehrenswert zu sein. Heute nennen sie mich “Schlampe” oder “Hure”.
Sie nennen mich hässlich und ekelhaft, nur um mir zwei Minuten später detaillierte sexuelle Gewaltfantasien zu schicken. Andere behandeln mich direkt wie ein Stück Fleisch, ohne Respekt und Rücksicht auf meine Grenzen.
Als ich anfing, über meine Erfahrungen mit sexueller Gewalt zu sprechen, sagten sie “So wie du dich präsentierst, musst du dich nicht wundern”.
Fast mein ganzes Leben lang habe ich mich geschämt, für das, was ich bin. Heute schäme ich mich nicht mehr, jedenfalls nicht für mich selbst. Stattdessen schäme ich mich höchstens fremd.
Für eine Gesellschaft, die es sich so bequem in ihrer eigenen Rape Culture gemacht hat. Die sexuelle Gewalt als Norm behandelt und die Überlebenden für ihre eigenen Übergriffe verantwortlich macht, während sie ohne zu zögern Täter*innen, insbesondere cis Männer schützt.
Die cis Frauen, trans*,- und inter* Personen, und Kinder als weniger wichtig ansieht als cis Männer und ihnen erzählt, dass sie weniger Respekt und Macht verdienen. Über ihr eigenes Leben und innerhalb der Gesellschaft.
Ich schäme mich für Männer, deren fragile Egos man buchstäblich zerbrechen hören kann, wenn es um selbstbewusste, unabhängige und sexuell selbstbestimmte FLINTAs* geht.
Die schon fast in existenzielle Krisen verfallen, wenn sie von einer rein hypothetischen Frage über Männer und Bären hören, nur weil sie nicht mal ansatzweise gewillt sind, den ernsten und traurigen Hintergrund zu verstehen und mit ihren Reaktionen eigentlich nur den Beweis für die Antworten auf diese Frage liefern.
Ich schäme mich auch für Menschen, die sich Feminismus auf die Fahne schreiben, aber nie über Alice Schwarzer hinausgewachsen sind, falls sie es überhaupt bis zu diesem bare minimum geschafft haben.
Diese Menschen, die nie an der Seite der marginalisierten und unterdrückten Menschen stehen, stützen das Patriarchat und stellen sich damit auf die Seite der Unterdrücker.
Für diese Menschen und noch einige andere, für die jetzt leider keine Zeit mehr ist, schäme ich mich in erstaunlicher Regelmäßigkeit.
Wenn man mich deswegen wieder mal als Schlampe betiteln möchte, kann ich nur sagen: Ja, ich bin eine Schlampe. Ich musste hart darum kämpfen, eine Schlampe sein zu können und ich bin stolz darauf.
Danke für eure Aufmerksamkeit und nieder mit dem Patriarchat.
Du lebst in einem System wo du als behinderter Mensch Sozialleistungen vom Staat bekommst, aber du willst diese System stürzen.
Da fehlen einem echt die Worte.
Ich spreche mit keinem Wort davon, den Sozialstaat und seine Strukturen abzubauen. Patriarchale Strukturen einzureißen würde nur denjenigen schaden, die sich aufgrund ihres Geschlechts über andere Menschen stellen. Menschen mit Behinderung wurden in patriarchalen Strukturen nie geschützt. Sie werden stattdessen isoliert und sind häufig Gewalt ausgesetzt. Immerhin ist jede zweite Frau mit Behinderung eine Überlebende von psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalt.
Es wäre daher schön, wenn du erstmal versuchen würdest, den Inhalt der Rede korrekt zu erfassen und dann noch richtig zwischen Sozialstaat und Patriarchat differenzierst.