Waltraud-Schiffels-Preis 2025: Meine Rede

Am vergangenen Samstag durfte ich den Waltraud-Schiffels-Preis 2025 für mein Projekt „Sexabled“ entgegennehmen. Zeit für einen Appell an die Gesellschaft.
ich bin immer noch voller Emotionen.
„Sexabled“ entstand aus Wut, aus Begehren, aus dem tiefen Wunsch, Räume zu schaffen, in denen queere behinderte Körper gesehen, begehrt, gefeiert werden und um ehrlich zu sein auch ein bisschen aus Langweile. Es ging ursprünglich um Lust und Macht, von Körpern, die sich nicht fügen und von einer Welt, die uns endlich zuhören muss. Heute ist dieses Projekt jedoch so viel mehr.
Denn unsere Leben sind politisch. Unser Begehren nach Freiheit ist Widerstand. Unsere Existenz ist kein Tabu.
Ich stand nicht allein auf dieser Bühne. Ich stand dort, weil Menschen mich gehalten haben, als ich selbst nicht mehr konnte.
Weil Zärtlichkeit radikal sein kann. Und weil Sichtbarkeit heilt und trotzdem manchmal weh tut.
Danke für diese Anerkennung. Für die Wertschätzung. Für den Mut, Menschen wie mir Raum zu geben.
Dieser Preis gehört uns allen. Allen, die nie mitgemeint waren, aber nicht mehr schweigen. Wie ich in meiner Rede sagte: Ich verneige mich vor euch.
Waltraud-Schiffels-Preis 2025: Rede
Liebe Anwesende,
ich nehme diesen Preis heute mit durchaus ambivalenten Gefühlen an.
In einer Welt, in der queere Menschen und insbesondere trans* Personen systematisch marginalisiert, angegriffen und instrumentalisiert werden, ist Sichtbarkeit niemals neutral. Eine Auszeichnung wie diese kann Anerkennung bedeuten oder Vereinnahmung.
In den letzten Monaten gab es Entscheidungen, Vorgänge und Entwicklungen im Umfeld dieses Preises, die mich irritiert und auch enttäuscht haben. Ich habe lange darüber nachgedacht, was es für mich bedeutet, heute hier zu stehen und um ehrlich zu sein auch, ob ich überhaupt hier stehen möchte. Doch ich bin zu dem Schluss gekommen: Wenn ich diesen Preis annehme, dann nicht, um mich feiern zu lassen. Sondern um sichtbar zu machen, wie politisch unsere Existenz ist und wie notwendig es ist, dass unsere Stimmen nicht nur gehört, sondern ernst genommen werden.
Ich habe mich entschieden, diese Bühne zu nutzen. Nicht für mich. Sondern für all die Kämpfe, die größer sind als ich. Ich nehme diesen Preis nicht, um mich feiern zu lassen, sondern um daran zu erinnern, dass Anerkennung keine leere Geste sein darf. Dass sie etwas bedeutet. Dass sie Verantwortung schafft.
Unter anderem deshalb werde ich das gesamte Preisgeld spenden, an Projekte und Organisationen, die mehrfach marginalisierte Menschen stärken, schützen, sichtbar machen. Denn unsere Kämpfe brauchen Ressourcen. Nicht nur Worte.
Trotz all dieser Ambivalenz ist es mir eine tiefe, berührende Ehre, den diesjährigen Waltraud-Schiffels-Preis entgegennehmen zu dürfen.
Ich stehe heute nicht allein. Ich stehe hier, weil es Menschen gibt, deren Liebe, Kraft und Vertrauen mich durch Zeiten getragen haben, in denen ich selbst nicht mehr an mich geglaubt habe. Menschen, die mir Halt gegeben haben, wenn alles in mir gerufen hat, aufzugeben. Menschen, die mir beigebracht haben, dass Verletzlichkeit eine Form von Stärke ist.
Deshalb möchte ich als Erstes von Herzen Danke sagen.
Danke an die Jury, für euren Mut, intersektionale Perspektiven sichtbar zu machen. Dafür, dass ihr erkannt habt, wie viel Widerstand, wie viel Arbeit und wie viel Willen es braucht, sich jeden Tag gegen eine Welt zu behaupten, die uns klein halten will. Ihr habt euch entschieden, nicht wegzusehen. Diese Auszeichnung ist mehr als nur ein Preis. Sie ist ein Zeichen dafür, dass Sichtbarkeit politisch ist, dass Anerkennung empowern kann und dass unser Kampf gesehen wird. Ich hoffe, dass diese Verleihung ein starkes Signal aussendet: an die Dominanzgesellschaft, aber auch an unsere eigene Community. Ein Zeichen, dass Menschen wie ich dazugehören. Dass wir nicht um Daseinsberechtigung betteln müssen, weil wir sie längst besitzen.
Danke an meine Eltern.
Ihr habt mir von klein auf die Werte mitgegeben, die mich heute tragen: Würde. Gerechtigkeit. Standhaftigkeit, Toleranz. Wir waren nicht immer einer Meinung und es gab Kämpfe, hitzige Diskussionen, verletzte Gefühle. Doch wenn es darauf ankam, wenn es wirklich zählte, standet ihr hinter mir. Ihr habt mich beschützt, verteidigt und unterstützt selbst dann, wenn ihr nicht alles verstanden habt. Ihr habt nicht aufgegeben, obwohl euch die Welt eingeredet hat, dass ich es schwer haben würde. Ihr habt mir beigebracht, wie man für die Dinge kämpft, die einem wichtig sind. Dass Solidarität und Unterstützung bedeutet, füreinander da zu sein, auch wenn es manchmal weh tut. Ihr habt mir die Stärke gegeben, mich selbst zu finden. Liebe Mama, lieber Papa: Dieser Preis gehört auch euch. Ich hoffe, ihr fühlt heute, was ich fühle: Dass dieser Weg richtig war und dass.
Danke an mein Team und an meine Freund*innen.
Ihr seid mein Schutzraum, mein Anker, mein Zuhause. Ihr wart da, wenn ich gezweifelt habe. Wenn ich weinend in meinem Schlafzimmer saß. Wenn ich nicht mehr wusste, wie ich morgens aufstehen soll. Ihr habt mich nicht gerettet, ihr habt mir erlaubt, mich selbst zu retten, ohne je allein zu sein. Ihr habt meine Kämpfe mitgetragen, ohne sie mir abzunehmen. Ihr habt nie verlangt, dass ich perfekt bin. Ihr habt mir Raum gegeben, verletzlich zu sein, erschöpft zu sein, zornig zu sein. Danke für euren Humor, eure Geduld, eure Loyalität, eure unerschütterliche Solidarität.
Und Danke an dich, Franzi
Du warst da, als alles in mir geschrien hat, dass ich nicht mehr kann. Du hast mich gesehen, nicht als Symbol, nicht als Kämpferin und Aktivistin, sondern als Mensch. Du hast mich nicht nur für diesen Preis nominiert. Du hast mich gehalten, genährt, gespiegelt. Du bist der Grund, warum ich heute hier stehe. Deine Liebe, deine Empathie, dein leiser aber kraftvoller Widerstand gegen die Härte dieser Welt, das hat mich getragen. Du warst mein Licht in einer Zeit, in der es oft dunkel war. Du treibst mich an und inspirierst mich. Danke, dass du da bist.
Aber ich will nicht nur danken.
Ich will auch sprechen und zwar mit der Klarheit und der Wut, die diese Welt verdient.
In den letzten Jahren war ich oft kurz davor, alles hinzuschmeißen. Nicht wegen der extremen Rechten. Nicht wegen der offen Hassenden. Die sind laut, ja, aber vorhersehbar. Man weiß, woran man ist.
Was mich fast gebrochen hätte, war etwas anderes:
Die schleichende, feige, selbstzufriedene Gleichgültigkeit der sogenannten „Mitte“.
Die, die sagen: Wir verstehen dich ja, aber bitte nicht so laut. Nicht so konfrontativ. Nicht jetzt.
Die, die uns zähmen wollen. Uns bitten, „nicht zu spalten“.
Die, die sich nicht die Hände schmutzig machen wollen, aber auch nie ihre sauberen Hände reichen, wenn wir am Boden liegen.
Diese Menschen sind gefährlicher als die offen Feindlichen.
Denn sie sagen: „Warte.“ aber sie meinen: „Nie.“
Sie sagen: „Wir sehen dich.“ aber sie meinen: „Nicht hier. Nicht so. Nicht jetzt.“
Sie verstecken ihr Wegschauen hinter wohlklingenden Worten.
Ihre Passivität nennen sie Neutralität. Ihre Weigerung, Partei zu ergreifen, nennen sie „Dialog“.
Aber Neutralität schützt nie die Unterdrückten. Sie schützt immer die Macht.
Und ja, wir reden hier über queere Menschen, aber auch über Rassismus. Über Ableismus. Über Klassismus. Über all die strukturellen Gewaltverhältnisse, die sich gegenseitig verstärken, ineinander greifen, uns zermürben.
Es ist keine neue Geschichte. Es ist die alte Geschichte der Unterdrückung: Dass man von uns verlangt, höflich zu sein, während man uns entrechtet. Dass wir friedlich bleiben sollen, während man uns Gewalt antut. Dass wir Verständnis zeigen sollen für Menschen, die nie bereit sind, uns auch nur zuzuhören.
Wir haben genug gewartet.
Auf Gerechtigkeit. Auf Anerkennung. Auf Sicherheit.
Auf das einfache Recht, zu leben, ganz, sichtbar, ohne Angst.
Freiheit wird nicht geschenkt. Sie wird erkämpft. Immer.
Und ja, die Befreiung wird unbequem. Sie wird laut. Sie wird manchmal hässlich, müde, wütend, fordernd.
Aber wer je geglaubt hat, dass Befreiung bequem sein kann, hat noch nie wirklich unterdrückt gelebt oder belügt sich selbst.
Wenn wir kämpfen, nennt man uns extrem. Störend. Übertrieben.
Aber ich frage:
Was ist extremer, ein Schrei nach Gerechtigkeit?
Oder ein System, das diesen Schrei seit Jahrzehnten ignoriert?
Ich wähle Liebe, aber auch Wut, die schützt.
Ich wähle Hoffnung, aber nicht die Hoffnung, die brav wartet, sondern die, die Türen eintritt.
Ich wähle eine Stimme, die sich nicht entschuldigt.
Und ich wünsche mir, dass wir nie wieder leiser werden, nur damit sich andere wohler fühlen.
Zum Schluss:
Danke an alle Aktivistinnen. An alle, die sich jeden Tag erheben. Für Würde, für Sichtbarkeit, für das Leben. Ihr seid der lebendige Beweis, dass Hoffnung nicht naiv ist, sondern notwendig. Euer Mut ist größer, als diese Welt oft verdient. Eure Kraft ist das Fundament einer Zukunft, die gerechter sein kann. Ich verneige mich vor euch. Ich hoffe, dass diese Gesellschaft eines Tages erkennt, wer ihre wahren Heldinnen sind.
Danke.