Randgruppenkrawall 2024: Wir leiden nicht, wir kämpfen

Franzi und ich auf der Bühne beim Randgruppenkrawall. Sie hält mein Mikrofon und meinen Text. Franzi trägt ein schwarzes bauchfreies Top und eine schwarze Stoffhose mit weißen Sneakern. Ich trage eine halb durchsichtige Bluse mit buntem Blumenmuster, eine hellgrüne Stoffhose und dunkelgrüne Sneaker.

Meine Rede auf dem Randgruppenkrawall 2024.

Auf dem Randgruppenkrawall 2024 demonstrierten die Teilnehmenden ein weiteres Mal für die Rechte von Menschen mit Behinderung. In der sengenden Hitze, die auf dem Münchner Marienplatz herrschte, gab es auch einige flammende Reden.

Mit meiner Rede wollte ich an den gemeinsamen Kampf unserer Bewegung erinnern. Alle Menschen mit Behinderung kämpfen und letztlich kämpfen sie alle für die gleiche Sache: Inklusion.

Wenn wir uns in einzelne Gruppen spalten lassen, werden wir verlieren. Wir leben mit Systemen, die von nicht betroffenen Menschen entwickelt wurden, ohne uns Betroffenen zuzuhören oder uns miteinzubeziehen. Es sind Systeme, geschaffen von Menschen, die der festen Überzeugung sind, dass wir leiden müssen.

Ich sage: Wir leiden nicht, wir kämpfen, weil man uns dazu zwingt!

Den Text meiner Rede findet ihr sowohl unter dem Video, als auch direkt auf YouTube als Transkript.

Wir leiden nicht, wir kämpfen

Liebe Menschen,

wir stehen hier heute einmal mehr vor dem Rathaus der “Weltstadt mit Herz”. Wenn ich diesen Spitznamen höre, muss ich immer etwas schmunzeln. Für mich ist München an den meisten Stellen so herzlich, wie Deutschland barrierefrei und inklusiv ist. Das hält politisch und behördlich verantwortliche Menschen aber natürlich nicht davon ab, sich selbst für ihr Engagement und ihre “gelungenen Projekte” für Inklusion und Diversity zu feiern. Es ist nachvollziehbar, wenn die Menschen, um die es eigentlich gehen sollte, von der immer größer werdenden Schere zwischen politischer Selbstbeweihräucherung und den jeweiligen Lebensrealitäten genervt und frustriert sind. Mir geht es jedenfalls regelmäßig so.

Wenn eine Gesellschaft ein Bild von Menschen mit Behinderung kultiviert hat, das betroffene Menschen als schwach darstellt, als kaputt oder mangelhaft, führt das zu genau dieser Schere. Dann werden Systeme geschaffen und Entscheidungen getroffen, um betroffene Menschen zu normieren und ihre “Mängel” zu “heilen”. Wenn das nicht funktioniert, begraben wir sie lebendig, in irgendwelchen Sonderwelten, wo immer es möglich ist. Die Hauptsache scheint zu sein, dass sich die Gesellschaft nicht anpassen und verändern muss. Wenn ich mich umhöre, höre ich oft, dass man die “leidenden Menschen mit Behinderung beschützen muss”.

Über den Begriff “Leid” in Zusammenhang mit Behinderung bin ich im Laufe meiner Zeit als Aktivistin sehr oft gestolpert und ich habe nie ganz verstanden, woher er kommt. Die Menschen mit Behinderung, die ich kennenlernen durfte, leiden nicht. Das ist übrigens keine steile These, die ich hier aufstelle, die Betroffenen sagen es selbst. Ich leide auch nicht, also zumindest nicht unter meiner Behinderung. Unter anderen Dingen mit Sicherheit, wie alle Menschen auch. Manchmal leide ich unter Hate auf Social-Media. Manchmal unter Druck und den Erwartungshaltungen, die ich selbst an mich habe. Seid ihr schon mal irgendwann neben eurer Assistenz beim Fernsehen eingeschlafen, nachdem es zum Abendessen Tsatsiki gab? Wenn ihr dann irgendwann aufwacht, wisst ihr, was Leid bedeutet.

Nein, jetzt ernsthaft. Ich möchte die Situationen von Betroffenen nicht kleinreden. Ich konnte nur mit diesem Framing nichts anfangen. Dann stand ich vor ein paar Wochen auf der Bühne eines queeren Events in München, um dort eine Rede über Gemeinschaft und gemeinsame Kämpfe mit der queeren Community zu halten. Im Nachgang dieser Rede fiel ein Satz, einer schwarzen queeren Aktivistin. Sie sagte: You know Lily, German activism is all about suffering

Deutscher Aktivismus dreht sich um Leiden. Ich saß später vor meinem PC und bekam diesen Satz nicht mehr aus meinem Kopf. Hatte sie recht? Dreht sich der Aktivismus unserer Community wirklich nur darum? Ich konnte das nicht glauben und bin bewusst die Accounts bekannter und befreundeter Aktivisti durchgegangen, ebenso wie meine eigenen Accounts. In diesem Moment verstand ich zum ersten Mal, was sie mir vermitteln wollte.

Die größten Akte einer friedlichen Rebellion unterdrückter Menschen sind Freude, Kreativität und Lebenswille. Zeigt ihnen euren Stolz, obwohl sie nicht glauben, dass wir stolz sein können. Zeigt die Stärke, die in euren Schwächen liegt und die Schwäche in euer Stärke. Zeigt ihnen, dass ihr Bild von uns nicht zu euch passt. Zeigt ihnen, dass wir nicht leiden, sondern kämpfen! Nicht weil wir es möchten, sondern weil sie uns dazu zwingen! Zeigt ihnen, dass wir nicht kaputt sind, sondern dass es ihre Schikanen sind, die uns zerstören möchten, doch dass wir das nicht zulassen werden.

Macht ihnen deutlich, dass wir nicht in die Systeme passen, die sie uns aufgezwungen haben! Dass wir Dinge, die uns zustehen, nicht länger schweigend wie Almosen empfangen werden. Wir kämpfen für unsere Rechte und wir werden nicht damit aufhören! Empowert euch für euch selbst und füreinander! Seid gemeinsam laut und wütend, aber auch glücklich, kreativ und stolz. Lasst nicht zu, dass man diese Bewegung von Menschen mit Behinderung in ihre Einzelteile spaltet und die Interessen verschiedener Behinderungsgruppen gegeneinander ausspielt.

Wir sind eine Gemeinschaft. Die größte marginalisierte Gruppe in diesem Land. Egal für wie schwach sie uns halten, zusammen sind wir stark! Wir können etwas verändern! Lasst uns gemeinsam kämpfen, mit Freude.

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