Fetische auf dem CSD: Eine geschichtsvergessene Diskussion.
Es ist mal wieder so weit, man diskutiert mal wieder über Fetische und ihre Darstellung auf dem CSD. Zeit für einen Beitrag über eine wiederkehrende Diskussion, ihre neurechten Zusammenhänge und queere Geschichtsklitterei.
Es gibt Dinge, die immer und immer wieder ein Comeback erleben. Gewisse Modetrends zum Beispiel, aber auch Frisuren und Accessoires. Ganz aktuell ist es zum Beispiel das Einwecken, also die Methode um Lebensmittel haltbar zu machen. Ich nehme mich da nicht aus, ich finde das absolut toll. Vor kurzem hatten Briefe und Postkarten wieder eine kleine Renaissance. Festivals kommen nach zwei Jahren Pause auch wieder zurück, da kann ich nur sagen, endlich! Obwohl ich wirklich nicht oft auf Festivals gehe.
Bei manchen Dingen ist so ein Comeback oder zumindest eine kurze Wiederauferstehung also durchaus etwas erfreuliches. Andere Dinge sind aber leider völlig unnötig. Sie waren es tatsächlich auch schon immer, nichtsdestotrotz wollen sie auf Teufel komm raus nicht verschwinden. Eines dieser Dinge ist die Diskussion um Fetische und die Darstellung freier Sexualität auf den CSDs. Die queere Community sieht sich seit Jahren genötigt diese leidige Diskussion immer wieder aufs Neue führen zu müssen.
Aktuell ist das wieder der Fall. Um genau zu sein, gibt es auf der Plattform Change.org eine Petition mit dem Namen “Für ein Verbot von öffentlich ausgelebter Sexualität und Fetischen beim CSD” die von einem gewissen Kinderseelenschützer e.V. ins Leben gerufen wurde. In der Beschreibung der Petition fantasiert der Verein dann von Kindeswohlgefährdung und richtet sich gezielt an die Organisator*innen des CSD-Berlin, man möchte ein Präventionskonzept ( für was auch immer ), einen Einsatz für eine Wahrheitsgemäße Aufklärung in den Medien ( also die Wahrheit die sich der Verein wünscht ) und eine Distanzierung der Organisator*innen von den “Geschehnissen” ( also eine Distanzierung von der eigenen Veranstaltung und den dazugehörigen Menschen ). Zusätzlich dazu bebildert der Verein seine Petition noch mit Bildern die nicht von dem Berliner CSD stammen. In den Kommentarspalten auf den Social-Media Kanälen wird der Queerfeindlichkeit freien Lauf gelassen. Dort stehen Kommentare wie der Folgende teilweise noch immer:
„Angesichts der Tatsache, dass sich diese kranke Szene wie ein Krebsgeschwür bis in höchste Ämter etabliert hat, darf man auf Besserung nicht hoffen“
Weitere Aufmerksamkeit bekam die Sache durch ein YouTube-Video von PersiaX. PersiaX, die ihre Bekanntheit als trans Youtuberin in erster Linie der Tatsache verdankt, dass sie anderen trans Personen ihr Geschlecht abspricht und sich dadurch gut als Token für trans- und inter*feindliche Gruppen eignet, gab ihrem Video den Titel “CSD 2022 – S*xuelle Übergriffe, Nacktheit und Pädophile”. Sie legte also direkt nochmal nach und stellte die Community bereits von Beginn an in eine ganz bestimmte Ecke, nämlich die von Sexualstraftäter*innen.
Ich möchte mich aber in diesem Beitrag nicht weiter mit PersiaX, dem genannten Verein oder der Petition an sich beschäftigen. Zu deren Lächerlichkeit wurde bereits genug gesagt und geschrieben, außerdem haben die Organisator*innen des Berliner CSD bereits korrekt reagiert. Stattdessen möchte ich gewisse Dinge, die von deren Seite, aber auch in früheren Diskussionen zu diesem Thema, immer wieder aufgekommen sind, für euch einordnen.
Über Pathologisierungen und Pädophilie.
Wenn man sich die aktuelle und die zurückliegenden Diskussionen anschaut, wird man nicht umhin kommen, festzustellen, dass diese Diskussion immer von einem gewissen einseitigen Framing beherrscht werden. Da heißt es dann, diese Arten der Sexualität seien „krank“, „unnatürlich“, „unmoralisch“, und „unästhetisch“. Ob man anderen Menschen „seine Sexualität aufdrängen“ oder diese „zur Schau stellen“ muss? Denn das sei pathologischer oder zumindest unangemessener „Exhibitionismus“ und „Belästigung“ und ist außerdem absolut „unnötig“. Die Steigerung davon passiert dann, wenn gewisse Akteur*innen versuchen eine Verbindung zwischen der Community und einer paraphilen Störung der Sexualpräferenz herzustellen, nämlich der Pädophilie.
Die Community kennt all diese Ansätze seit Jahrzehnten. Es sind die gleichen Anschuldigungen und Vorwürfe, die schon immer gegen uns vorgebracht wurden. Zu Beginn der LGBTQIA-Bewegung richteten sich diese absurden und menschenverachtenden Äußerungen explizit gegen schwule Männer, stellenweise ist das immer noch so, auch wenn sich derartige Äußerungen aktuell hauptsächlich gegen andere Teile der Community richten. All diese Begriffe kennen wir bereits aus ultra konservativen, neurechten und erz-religiösen Lagern. Mit einem ähnlichen Framing bekämpft man beispielsweise in Ungarn oder in Russland die LGBTQIA-Community. Das Ziel einer derartigen Wortwahl besteht immer in der Ausgrenzung von marginalisierten Gruppen, es geht darum uninformierte Menschen aufzuhetzen und Teile einer Gesellschaft bis zur Unsichtbarkeit an den Rand zu drängen.
Dafür nutzt man gezielt die Methode des Othering. Man baut ein Bild auf, das klar besagt “Die sind anders, wir sind normal!” und wer nicht Teil dieser Normativität ist, ist böse und krank. Damit macht man dann übrigens auch Menschen unsichtbar die tatsächlich krank sind und die Hilfe benötigen. Außerdem entspringt die Idee einer zwanghaften Normierung der Sexualität.
Nochmal und mit allem Nachdruck. Pädophilie gehört nicht zu unserer Community. Pädophilie ist mit den Werten der Community unvereinbar, dies wird sich auch nicht ändern. Viele große Organisationen der Community verfassten extra Unvereinbarkeitsbeschlüsse, wie die „International Lesbian and Gay Association“ (ILGA) im Jahre 1994 und erwähnen dies sogar explizit in ihren Websites. So schrieb der SVD/LSVD 1997 folgendes:
„Der Schwulenverband in Deutschland (SVD) ist der Auffassung, daß Sexualität zwischen Menschen nur im gegenseitigen Einvernehmen stattfinden darf. Zwischen Erwachsenen und Kindern liegt ein strukturelles Machtgefälle vor. Zudem ist das Verständnis der Bedeutung von Sexualität bei Kindern und Erwachsenen grundlegend verschieden. Ein gleichberechtigtes Einvernehmen zwischen Kindern und Erwachsenen ist daher nicht gegeben. Nach unserer Überzeugung ist es Missbrauch, wenn Erwachsene ihre sexuellen Bedürfnisse auf Kosten von Kindern befriedigen.
Der weltweite Dachverband der Lesben– und Schwulenbewegung, die „International Lesbian and Gay Association“ (ILGA), hat auf einer Weltkonferenz im Juni 1994 unter Mitwirkung des SVD den Beschluß gefaßt, daß die Ziele der Pädophilen mit denen der lesbischen und schwulen Emanzipation unvereinbar sind. Diese Auffassung wurde und wird vom SVD inhaltlich voll unterstützt.“
(Abgedruckt ist diese Erklärung in der damaligen SVD-Zeitschrift „Rundgespräch“, Ausgabe März 1998, S. 4.)
Diese Menschen bekommen von uns keinen Raum und werden, wenn sie auftauchen, wie bei einem Versuch auf dem CSD in Köln, sofort ausgegrenzt. Die Behauptung, dass auf CSDs oder anderen queeren Veranstaltungen Pädophilie supportet oder irgendwie gelebt wird ist daher unhaltbar.
Fetische und CSDs sind historisch verbunden.
Fetisch und die Darstellung freier Sexualität gehört sehr wohl zum CSD, sorry wenn ich da jemanden enttäuschend muss. Tatsächlich leisteten Menschen und Organisationen aus der Leder-Community einen bedeutenden Beitrag zur LGBTQIA-Bewegung und zur Pride im Besonderen: Sie waren bei Unruhen wie in Compton und Stonewall anwesend und dienten von den ersten Prides an als Organisator*innen, Marschierer*innen, Autor*innen und Geldbeschaffer*innen (Limoncelli, 2005; S. K. Stein, 2021; Teeman, 2020). In New York City war die Leather Pride Night viele Jahre lang der größte Einzelspender für die Pride, und die Leder-Community stellte einige der größten Kontingente in New York und Los Angeles ( Los Angeles Leather History, 2021). Die Leder-Community mobilisierte während der Gesundheitskrise erhebliche finanzielle und direkte Hilfe für Menschen mit HIV (Mr. Marcus, 1990a, 1992a). Lederaktivist*innen halfen bei der Organisation und marschierten in voller Montur bei den Märschen auf Washington 1987 und 1993 und führten peitschenschwingende Demos bei der Pride in San Francisco, Dallas und New York an (S. K. Stein, 2021).
Karla Jay von den Radicalesbians sagte: „Wir trugen Halloween-Kostüme, unser bestes Kostüm, tie-dye T-Shirts oder fast gar nichts“ bei der New Yorker Pride 1970 (Kaufman, 2020), die Menschen gingen zum Central Park, wo die Gay Activists Alliance ein „Gay-in“ geplant hatte. Wie Lahusen berichtet, „kuschelten und küssten sich schwule Liebhaber, während Fernsehkameras die offene Zurschaustellung schwuler Liebe bestaunten.“ Die Teilnehmer*innen zogen sich aus, kuschelten ohne Hemd und ein Paar versuchte, den Weltrekord für das längste Knutschen zu brechen, während andere Teilnehmer*innen über die „Orgie“ auf der Veranstaltung diskutierten (Grillo, 1970; Vincenz, 1970). In Los Angeles stellte die Gay Liberation Front einen berüchtigten Wagen mit einem großen Glas Vaseline auf, und oben ohne winkten die Teilnehmer*innen aus einem Cabrio. Bei der Parade im folgenden Jahr krachte eine 35 Fuß große Penisraupe in ein Polizeiauto und löste Gelächter und Beifall aus.
1973 kam auch San Francisco in den vollen Genuss der Pride: Der Bay Area Reporter zitierte „eine Fülle von männlichem Käsekuchen“ (Bay Area Reporter, 1973a), einschließlich eines Mannes, der nur ein paar Weintrauben trug, und Männern, die nur mit Handtüchern bekleidet auf dem Kasernenwagen waren (Pennington, 1988). Bis 1975 gab es bei der San Francisco Pride öffentliche Nacktheit (M. Owens, 1975) und barbusige Frauen auf Motorrädern (Vector, 1975). Im Jahr 1976 erreichte diese Atmosphäre neue Höhepunkte. Frauen und Männer zogen sich in der Hitze nackt aus, und Jim Gordon stand „splitternackt an der Ecke Castro und Market“, bevor er einen Bus bestieg, den er als „eine Orgie“ bezeichnete (Berlandt, 1982). Bei der Feier in Marx Meadows herrschte „zügellose Nacktheit“ (Pennington, 1988) – „ALLE zogen sich so weit wie möglich aus, und es wurde viel umarmt, geküsst und geknutscht“ (Hardman, 1976).
Wenn die Pride zum Teil als Gedenkveranstaltung verstanden wird, die die Geschichte der LGBTQIA-Bewegung ehrt, dann rührt ein ein großer Teil der kulturellen Legitimität bei der Pride von den Beiträgen her, die die Leder-Community zu dieser Bewegung geleistet hat. Trotz aller Widerstände setzten sich die queere Leder-Community und deren Organisationen für die Rechte von allen queeren Menschen ein: Sie organisierten politische Aktionen, bauten Räume für queere Zentren, unterstützten Menschen die an AIDS erkrankt waren und sammelten Geld für Pride-Veranstaltungen.
Diese Community war auch an der Organisation der allerersten Pride-Paraden beteiligt und sie nahm natürlich auch an ihnen teil. So besuchte der Lederfetischist Peter Fiske das Stonewall Inn, war 1966 bei den Unruhen in der Compton’s Cafeteria dabei und marschierte 1970 mit Lederweste und Chaps auf dem ersten Gay Freedom Day in San Francisco mit (Teeman, 2020). Als öffentlichkeitswirksame Veranstaltung, die queere Menschen in der ganzen Welt repräsentierte, diente die Pride als Mittelpunkt für Auseinandersetzungen über den Platz von Leder in der LGBTQIA-Bewegung. Cycle MC (ein schwuler Motorradclub aus New York) nahm 1970 an der ersten Pride-Parade in New York teil (Los Angeles Leather History, 2021), und im selben Jahr fuhr eine in Leder gekleidete Motorradbrigade in Los Angeles auf Harleys, was „die heterosexuellen Zuschauer zum Schweigen brachte“.
Die bisexuelle Lederfetischistin Brenda Howard wird oft als „Mutter der Pride“ bezeichnet; Limoncelli (2005) gibt an, dass sie einen Monat nach den Unruhen eine Kundgebung zu Ehren von Stonewall koordinierte, und L. Nelson (2005) behauptet, sie habe die Idee der Pride Week entwickelt und sei in den 1970er und 1980er Jahren Mitglied des Christopher Street Liberation Day Committee gewesen.
Sich ernsthaft hinzustellen und zu behaupten oder gar zu fordern, dass Fetische und die Darstellung einer freien Sexualität nichts auf den CSDs zu suchen hätten, zeugt von einem unglaublichen Maß an Geschichtsverdrehung. Die daraus resultierenden Falschdarstellungen sind oftmals bewusst gewählte Werkzeuge um die Community verächtlich zu machen.
Natürlich kann nicht jeder Mensch über queere Geschichte bescheid wissen, dass wird auch von niemandem verlangt. Jedoch sollte man sich über Tatsachen informieren, bevor man auf die Bauernfängerei gewisser Personen hereinfällt. Das beziehe ich übrigens sowohl auf die Menschen in der Community, die offensichtlich nicht wissen bzw. nicht wissen wollen wo die eigenen Ursprünge liegen, als auch auf angebliche Allys und völlig themenfremde Menschen die gerne ihren Senf dazugeben möchten.
Immer wieder neue Versuche.
Diese ganze Thematik ist wie gesagt keine große Neuigkeit, es ist sprichwörtlich alter Wein in neuen Schläuchen. Frühere Versuche von derartigen Verboten zeigten uns bereits, dass gewisse Sittenwächter*innen nichts unversucht lassen, um anderen Menschen ihr moralinsaures Verständnis von Liebe und Sexualität aufzuzwingen. Das Lieblingsziel für derartige Versuche sind seit ein paar Jahren übrigens Pupplayer*innen, also Menschen in Hundekostümen.
So wurden im Jahr 2018 auf dem Ruhr-CSD in Essen mehrere Pupplayer*innen dazu aufgefordert ihre Masken abzunehmen, weil diese angeblich unter das Vermummungsverbot fallen würden. 2019 sprach die Polizei für den CSD in Aachen ebenfalls ein Verbot von Fetischmasken aus. Obwohl NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bereits einige Wochen nach dem Vorfall in Essen einräumen musste, dass das Vorgehen der Polizei und das daraus resultierende Verbot rechtswidrig waren. Im Wortlaut sagte Reul folgendes:
„Eine Aufforderung, das Tragen der Masken zu unterlassen, hätte bei dem vorliegenden Sachverhalt demnach nicht erfolgen dürfen“
Denn das Tragen von Fetisch-Outfits auf einer Pride könne
„zu einem solchen Anlass der Meinungsäußerung oder der künstlerischen Verwirklichung zugerechnet werden, was von dem Vermummungsverbot nicht erfasst werde“
Auch die Organisator*innen des CSD-Bremen versuchten bereits erfolglos die Fetisch-Community von ihrer Veranstaltung auszuschließen. In den 2021 veröffentlichten neuen “Grundsätzen” hieß es:
„Wir wollen nicht bewerten, wessen Probleme größer oder kleiner sind. Aber das Darstellen von Fetischen in der Öffentlichkeit finden wir nicht hilfreich, wenn wir bei der gleichen Demonstration und Kundgebung über Themen wie Asylrecht, Trans*Recht oder queere Krankenversorgung sprechen möchten.“
Im gleichen Text hieß es aber auch:
„keine Feindlichkeit gegen romantische oder sexuelle Vorlieben“
Wer da jetzt einen Anflug von Bigotterie verspürt, hat wahrscheinlich recht damit. Das Problem für die Organisator*innen bestand dann übrigens aus der offensichtlich unerwarteten, jedoch äußerst erwartbaren Kritik, die aus der gesamten deutschen Community kam. Die Reaktionen auf diese unglaublich dreist vorgetragene Scheinheiligkeit waren sogar so heftig, dass die Ankündigung zurückgenommen und mit einem “Kompromiss” ersetzt wurde. Letztlich fuhren die Organisator*innen ein populistisches Ablenkungsmanöver, auf das selbst Friedrich Merz stolz wäre. Man änderte einfach über Nacht den Text des Grundsatzes, wo es ursprünglich ausschließlich um CSD-Teilnehmer*innen in Leder, Gummi oder Latex, mit Peitsche oder mit Hundemaske ging, hieß es plötzlich “Keine Darstellung von sexuellen Handlungen“.
Besonders absurd wurde es dadurch, dass der Satz ““Wir wollen nicht bewerten, wessen Probleme größer oder kleiner sind[…]” weiterhin in diesem Text enthalten war und dadurch klar wurde, worauf die Organisator*innen es weiterhin abgesehen hatten. Was den berechtigten Shitstorm natürlich nicht gerade abbremste. Man kann von einem Organisationsteam einer queeren Veranstaltung durchaus erwarten, dass man zumindest ein paar Grundsätze der queeren Historie unfallfrei auf die Reihe bekommt. Ob man die Funktion ehrenamtlich ausführt oder nicht ist dafür auch völlig unerheblich, das gehört einfach dazu. Wenn man alle Fetischfans unter den Generalverdacht stellt, indem man ausdrückt, dass diese Menschen nur willkommen sind, wenn sie sich nicht an die Wäsche gehen und sich an alle Regeln und Gesetze halten, klingt das irgendwie schon wieder sehr nach Friedrich Merz.
Das ist alles Sittenwidrig!
Apropos Regeln und Gesetze. Jede größere Pride ist mit Polizist*innen besetzt, auf den ganz großen Veranstaltungen sind es tausende. Teilweise besitzt die Polizei sogar eigene Stände, beispielsweise die Bundespolizei auf dem CSD in München. Darüber kann man auch diskutieren, aber darum geht es mir jetzt nicht. Es geht darum, dass die Polizei bei Straftaten und Sittenwidrigkeiten sicherlich nicht massenhaft wegsehen würde, wenn es wirklich dazu kommen würde. Die Fälle in Essen und Aachen beweisen letztlich genau das, auch wenn es in diesen Fällen offensichtlich rechtswidrig war.
Eine Sache ist jedenfalls sicher, für angedeuteten Sex interessiert sich die Exekutive kein Stück und das ist gut und richtig. Was tatsächlichen Sex auf Pride Veranstaltungen betrifft, kann man nur sagen, dass das nicht öfter oder ausufernder passiert als auf allen anderen großen Festivals. Auch einige Heteros vögeln bei der passenden Gelegenheit auf großen Veranstaltungen. Wie es auf dem Oktoberfest oder dem Karneval teilweise zur Sache geht interessiert allerdings niemanden, denn da ist es ja “normal”. Sexy Outfits oder direkte Fetisch-Outfits sind auch nichts, was man nur auf der Pride findet. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele kaum bekleidete Menschen an Halloween oder wiederum an Karneval durch die Städte ziehen. Eine Petition um dagegen vorzugehen konnte ich bis heute allerdings nirgendwo finden. Da ist der Kinderschutz auf einmal völlig egal.
Sind denn plötzlich alle jeck? Das ist doch Sodom und Gomorrha! Natürlich nicht. Nur damit wir uns nicht falsch verstehen, es ist völlig in Ordnung wenn man sagt, dass eine derartige Freizügigkeit nicht den eigenen Vorstellungen entspricht und man deshalb nicht auf solche Veranstaltungen geht. Das ist okay, wirklich. Jedenfalls dann, wenn man es auf alle Veranstaltungen gleichermaßen bezieht. Wenn man es aber explizit auf die queere Community bezieht, mit oder ohne einem derartigen Framing, dann ist das einfach ein großer Haufen von queerfeindlichen Bullshit.
Übrigens, Kinder werden durch ihre Anwesenheit auf einer Pride weder frühsexualisiert noch umerzogen oder irgendwie geschädigt. Wenn irgendwas an diesen Geschichten über Frühsexualisierung wahr wäre, gäbe es keine LGBTQIA-Community. Denn wir alle wurden bereits als Kleinkinder mit heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Darstellungen bombardiert und trotzdem sind wir nicht Teil dieser Normativität.
Toleranz und Respekt, nicht Ausgrenzung.
Der CSD ist eine Parade und Protestveranstaltung für Toleranz, Respekt und Liebe. Die meisten von uns sind sich dieser Tatsache nach wie vor bewusst. Ebenso sind wir uns der Verbundenheit und der Verdienste der Fetisch-Community bewusst. Ja, es mag richtig sein, Puppys hat man in den Anfängen wohl weniger gefunden, aber Szenen entwickeln sich mit den Menschen die zu ihnen gehören. Das liegt in der Natur der Sache.
Es gibt sicherlich auch viele Dinge, die man an den CSDs kritisieren kann, insbesondere an den großen. Man kann die steigende kapitalistische Ausrichtung kritisieren und den mangelnden Platz für marginalisierte Gruppen und ihre Themen, wie BIPoC, queere Menschen mit Behinderung und queere Sexarbeitende. Das alles sind berechtigte und wichtige Diskussionen, die wir führen müssen, auch mal schonungslos.
Die Community wird sich auch noch entwickeln, daran gibt es keine Zweifel. Wohin sie sich entwickeln wird, entscheidet sie allerdings selbst. Das Ziel ist jedenfalls klar formuliert, es lautet Inklusion und Integration, nicht Ausgrenzung. Wenigstens das hat der Vorfall in Bremen und die darauf folgende Reaktion klar gezeigt. Denjenigen, die derartige Verbote fordern, sollte aber eines klar sein: Was ihr fordert, ist nichts anderes als Assimilation. Wir sollen uns an eure Vorstellungen anpassen, weil ihr uns nur so tolerieren könnt, wenn überhaupt. Das wird nicht passieren.