Online Dating: Von Fantasywesen und einem hübschen Gesicht.
Es wird Zeit, sich auch mit den negativen Seiten des Online Datings auseinanderzusetzen. Wie geht man mit schlechten Erfahrungen am besten um?
Triggerwarnung und eine Erklärung: Im folgenden Beitrag zum Thema Online Dating werden explizite Screenshots von echten Chatverlaufen gezeigt. Bitte lest die Nachrichten und bzw. oder den Beitrag nur dann, wenn ihr mit Ableismus, Othering, Beleidigungen und ähnlichen Themen zurecht kommt.
Zwei der Screenshots sind aktuell etwas unscharf, sobald ihr sie vergrößert, öffnen sie sich in einem neuen Tab und sind dann gut lesbar. Viel Spaß mit dem Beitrag.
So, jetzt ist es so weit, wir sind mal wieder beim Thema Online Dating gelandet. Eigentlich war das gar nicht beabsichtigt, aber meine Erfahrungen aus den letzten Wochen und Monaten haben mich schon fast dazu genötigt diesen Beitrag zu schreiben. Ich erkläre euch jetzt erstmal warum.
In den letzten zwei Jahren war es in der Welt des Online Datings verständlicherweise recht ruhig. Die meisten Apps und Webseiten haben ihre Communitys immer wieder auf die Gefahr durch Covid-19 hingewiesen und an Kontaktbeschränkungen und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Situation erinnert. Gerade in der Frühphase der Pandemie schien dies überraschend gut zu funktionieren. Die Messages wurden erstmal weniger, man chattete vielleicht ein bisschen, wenn einem im Lockdown gerade langweilig war, mehr aber auch nicht.
Insgesamt war das eigentlich recht angenehm, so hatte man ausreichend Zeit um gewisse neue Kontakte intensiver zu verfolgen. Was man am Niveau der Unterhaltungen tatsächlich spüren konnte. Doch in den letzten Monaten änderte sich die Atmosphäre recht schlagartig, als ob ein gewaltiger Kessel plötzlich explodiert wäre. Was dann zwischenzeitlich meine Postfächer flutete, war oftmals peinlich, beleidigend, diskriminierend und manchmal auch strafrechtlich relevant.
Im folgenden Beitrag werde ich nun einige dieser Messages zeigen. Das tue ich deswegen, weil ich euch zeigen möchte, was vorkommen kann und zwar ganz offen und ehrlich. Aber ich möchte euch auch ein wenig erklären, wie man meiner Meinung nach mit solchen Nachrichten umgehen sollte. Dieser Beitrag soll euch nämlich keineswegs Angst machen, ihr sollt also nicht glauben, dass man deswegen auf Dating im Internet verzichten muss.
Im Gegenteil. Ich kann nur immer wieder betonen, dass meine Erfahrungen mit dieser Form des Datings überwiegend positiv sind. Es hilft aber recht wenig, wenn ich euch diese Seite der Medaille vorenthalte. Außerdem nutze ich den Beitrag auch dafür, mir ein bisschen Frust von der Seele zu schreiben. So ehrlich muss ich an der Stelle auch sein.
Niveau ist bekanntlich keine Handcreme.
Eigentlich könnte ich an dieser Stelle auch schon aufhören zu schreiben, denn die Überschrift dieses Absatzes fasst die ganze Problematik schon sehr gut zusammen. Warum es Menschen manchmal so schwer fällt, auf eine niveauvolle Annäherung zu achten oder erwähnte Grenzen zu respektieren, kann ich nicht wirklich einschätzen. Aber gerade der Punkt mit den Grenzen ist ein eindeutiges Warnsignal.
Ein wichtiger Tipp: definiert eure Grenzen bereits in eurem Profil, so gut es auf der Plattform eurer Wahl eben geht. Wenn ihr nicht genug Platz für detaillierte Beschreibungen habt, wie zum Beispiel auf Tinder oder Lovoo, nutzt Schlagwörter. Das ist besser als nichts.
Wenn eure definierte Grenze überschritten wird, ist das ausdrücklich kein Anlass für eine Diskussion. Grenzen sollten grundsätzlich nie überschritten werden, auf einer Plattform für Dates sollten sie auch nicht in Frage gestellt werden. Ob ihr euch dazu entscheidet eure Grenzen zu erweitern, wenn ihr eurem Gegenüber vertraut, bleibt natürlich eure Angelegenheit. Aber lasst euch das nie von vornherein aufzwingen.
Okay, kommen wir nun zum ersten Beispiel. Nochmal zur Warnung, die Screenshots sind nicht zensiert.
Der Wunschlisten Typ.
Beginnen wir mit einem Beispiel für einen ganz bestimmten Typ von Chatpartner*innen, obwohl ich mir das Gendern eigentlich sparen könnte, denn unser erster Fall kommt fast durchweg bei cis Männern vor. Die Erwähnungen von nicht cis männlichen Menschen des Wunschlisten-Typs ist hier wirklich zu einhundert Prozent hypothetisch, denn ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, bei dem mein Gegenüber nicht cis männlich war. Bei über zehn Jahren Erfahrung im Online Dating möchte das schon etwas heißen.
Der Wunschlisten-Typ ist eigentlich relativ harmlos, im Vergleich zu anderen Fällen, er ist nämlich nicht bedrohlich und wird meistens nicht beleidigend. Allerdings ist dieser spezielle Typ deswegen nicht weniger übergriffig. In einer unglaublich detaillierten und extrem nervigen Form, beschreibt der Wunschlisten-Typ das ultimative Traumdate. Also sein ultimatives Traumdate, mit euren Wünschen und Grenzen haben die Beschreibungen wahrscheinlich recht wenig zu tun.
Entweder wird der Wunschlisten-Typ ohne Umschweife zum Punkt kommen und seine Wünsche direkt äußern, in diesem Fall beschäftigt er sich auch keineswegs mit unnötigen Floskeln wie einer Begrüßung oder einer Vorstellung, oder er spricht nach einer äußerst dezenten Begrüßung davon, wie sehr er euch “verwöhnen” möchte. Dieses Verwöhnprogramm folgt natürlich auch nur seinen Vorstellungen, ihr habt davon gefälligst verwöhnt zu sein.
Übergriffig ist das wie gesagt in jeden Fall, daher würde ich dazu raten, diese Menschen einfach zu blocken oder, falls eure Nerven stark genug sind, einfach zu ignorieren. Wobei einige Exemplare nicht gut damit umgehen können, wenn sie nicht beachtet werden, was schnell zu einem aggressiven Ton aufgrund des unbefriedigten Egos führen kann.
Die Machtdynamik in Messages.
Es gibt Menschen, die es für eine besonders geschickte Art der Annäherung halten, wenn sie ihrem Gegenüber zweifelhafte Komplimente machen. Diese Form der Manipulation nennt man “Negging”, dabei geht es darum, dass das Gegenüber möglichst gezielt verunsichert wird. Ein klassisches Beispiel dafür wäre dass ihr für euer Make-up gelobt werdet und man euch währenddessen mitteilt, dass ihr eurem Gegenüber ohne Schminke nicht so gut gefallt. Solche Beispiele funktionieren auch bei behinderten Menschen. Aber es gibt noch eine andere Form von “Negging” die man meiner Ansicht nach größtenteils bei Menschen mit sichtbaren Behinderungen vorfindet.
In solchen Fällen dreht sich das Negging oftmals darum, die Schönheit eines behinderten Menschen hervorzuheben, um diese direkt wieder zu relativieren. Der ausschlaggebende Punkt für die Relativierung ist natürlich das Vorhandensein einer Behinderung. Durch Negging entsteht immer eine ungesunde Machtdynamik, der Kontakt wird dadurch von Beginn an toxisch. Lasst euch darauf nicht ein, denn wenn jemand nur groß wird, indem er*sie euer Selbstwertgefühl untergräbt, könnt ihr darauf verzichten.
Es gibt aber auch andere Ausdrucksweisen, die einen schlechten Umgang mit dem Thema Behinderung schnell offenbaren, auch wenn die Aussage vielleicht gar nicht böse gemeint sind. Besonders auffällig ist es, wie schnell auf Datingseiten Othering betrieben wird. Man wird durch eine Behinderung dann sehr schnell zum Fantasywesen, bunten Vogel bzw. Paradiesvogel oder zu einer Filmfigur. Klingt das absurd? Ja, natürlich tut es das.
Es ist kein gutes Zeichen für eine Kommunikation auf Augenhöhe, wenn man Menschen aus irgendwelchen Gründen, beispielsweise wegen ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität, einer Behinderung oder aufgrund rassistischer Zuschreibungen als anders oder exotisch darstellt. Da hilft es auch nichts, wenn man dieses “exotische Wesen” zufällig genau deswegen interessant findet. Menschen ohne Behinderung schreiben mir auch öfter mal die Frage “Geht das mit dem Sex bei euch überhaupt, das ist doch anders wie bei uns”? “Euch” steht dann für Menschen mit Behinderung und “Uns” für nicht behinderte Menschen.
Dazu gehört übrigens auch die Fetischisierung einer Behinderung. Bitte versteht das nicht falsch, es gibt Amelotatist*innen die behinderte Menschen komplett wahrnehmen, mit allen Facetten ihrer Persönlichkeit. Dann ist Amelotatismus auch kein Problem. Wenn der Mensch mit Behinderung zum reinen Fetischobjekt verkommt, haben wir ein Problem.
Egal wie die Personen es ausdrücken oder meinen, es bleibt eine ständige Zuordnung, eine Grenzziehung und Einteilung zwischen einem konstruierten “Wir” und den “Anderen”. Auch hier haben wir eine schlechte Machtdynamik, daher sollte auch diese Form der Kommunikation eine Warnung für euch sein.
Wenn ihr euch nichtsdestotrotz auf derartige Unterhaltungen einlassen wollt, was ich aus Gründen der Psychohygiene wirklich nicht empfehlen kann, behaltet bitte im Hinterkopf, dass ihr nicht dafür verantwortlich seid, die Gedankenwelt von anderen Menschen zu begradigen. Es ist nicht der Job von marginalisierten Menschen ständig den Erklärbären für andere Personen zu geben. Wenn ihr es tun möchtet, ist es gut, wenn nicht ist es das auch.
Der 7. Kreis der Datinghölle.
Wenn wir schon bei diesem Thema sind, müssen wir auch über den absoluten Abgrund der Dating Welt sprechen. Es gibt auf Datingseiten und Dating-Apps natürlich auch Menschen die einfach gar nichts positives im Sinn haben. Manche Menschen nutzen diese Plattformen tatsächlich nur um andere Menschen zu attackieren oder zu belästigen.
Ein prominentes Beispiel für derartige Inhalte sind natürlich die guten alten Dickpics. Diese Bilder sind in Deutschland unter gewissen Umständen strafbar. Paragraf 184 des StGb sagt hierzu:
“Wer einen pornografischen Inhalt an einen anderen gelangen lässt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.”
Im Jahr 2020 gab es hierzu eine Studie mit 1.087 Männern, die schonmal Dickpics versendet haben. Die Ergebnisse lesen sich dermaßen lächerlich, dass man zwischenzeitlich nicht mehr weiß, in welcher Welt die befragten Herren eigentlich leben. 82 Prozent der Befragten gaben an, dass sie tatsächlich hofften, dass die Empfänger*innen durch die Bilder sexuell erregt werden. 50 Prozent möchten so angeblich erreichen, dass sich ihr Gegenüber durch das Dickpic attraktiv fühle und 51 Prozent hoffen auf eine gleichwertige Antwort.
Aber auch Abseits der penisbesessenen Männlichkeit gibt es extrem eklige Messages. Es wird diskriminiert, bedroht und beleidigt, einfach so, völlig grundlos. Die meisten dieser Messages sind nichts anderes als Gewalt. Natürlich ist es keine körperliche Gewalt, aber trotzdem ist es eine ernstzunehmende Form der Gewalt, die psychischen Folgen solcher Nachrichten können gravierend sein.
Wie ihr letztlich mit derartigen Messages umgehen wollt ist eure Sache. Sucht euch den Weg, der sich für euch am besten anfühlt. Ignoriert es, lacht darüber, brecht den Kontakt ab, blockiert, positioniert euch auf deutliche Art und Weise, meldet euer Gegenüber oder zeigt es an. Habt aber niemals das Gefühl, dass ihr euch für irgendetwas schämen müsst. Glaubt nicht, dass ihr Spaßbremsen seid, wenn ihr nicht auf derartigen Unsinn reagiert. Ihr seid an nichts schuld, ihr agiert hier nicht übergriffig. Seid euch dessen immer bewusst.
Solltet ihr euch für die Anzeige von Hassnachrichten, Drohungen oder gewissen Bildern entscheiden, hilft euch vielleicht das Meldeformular von HateAid dabei. Die Hauptsache bleibt aber, dass ihr euch davon nicht die Lust am Dating versauen lasst.
Foto by Manuel Nieberle.